Woher kommt der Haß auf und gegen alles Mögliche und häufig gegen Minderheiten auf der Welt?
Der viel zu frühe und mich traurig stimmende Tod des von mir – auch als Rheinländer – geschätzten Dr. Guido Westerwelle – R. I. P. – hat mich darauf gebracht, dieser Frage nachzugehen. Warum? Kurz nachdem ich die Todesnachricht zur Kenntnis genommen hatte, erwischte ich mich bei dem Gedanken, daß Westerwelles Ehemann, Michael Mronz, mutmaßlich am Totenbett gesessen hat, und ich mußte leicht befremdet mit Verlaub schmunzeln. Daß ein Sohn, ein Freund oder ein Priester einem als Mann auf dem letzten Weg die Hand hält, stellt eine völlig normale Vorstellung dar. Aber einen Mann, den man liebt und sexuell begehrt, das ist für mich als durch und durch heterosexuellem Menschen bei aller Toleranz trotzdem fast jenseits des Vorstellbaren. Das ist und bleibt mir fremd.
Dieser Befund allein ist vollkommen unspektakulär. Es besteht keine Notwendigkeit, sich von allem, was sich im Zwischenmenschlichen anderer abspielt, ein Bild zu machen; bei vielem will man das vielleicht auch gar nicht. Wichtig ist doch allein, daß man jeden nach seiner Façon selig werden läßt, womit ich überhaupt kein Problem habe. Interessant erscheint mir aber, wie tief verwurzelt das zweigeschlechtliche Denken wahrscheinlich im überwiegenden Teil der Gesellschaften ist, so daß ein völlig normales Geschehen wie die Sterbebegleitung durch engste Angehörige, also auch und gerade durch den Partner im Falle von Homosexuellen aus Sicht der sexuell gewöhnlich Orientierten ein besonderes Gewicht bekommt. Da mag man noch so aufgeklärt und tolerant sein, hier schleicht sich ein leicht befremdendes Gefühl ein.
Und das Fremde ist immer auch geeignet, den einen oder anderen nicht nur zu irritieren, sondern ihm gar Angst zu machen, Angst die bei manchem dann sogar in Haß umschlägt, weil er dem ihm so Fremden glaubt, anders nicht begegnen zu können. Dinge und Umstände also, die wir in gesellschaftlicher Übereinkunft für zu tolerieren erklären, werden nur dann von allen ruhig und unbesorgt akzeptiert werden, wenn sie den Menschen keine Angst mehr bereiten. Dafür muß dem Anderssein das Fremde genommen werden. Das erreicht man aber sicherlich nicht dadurch, daß man sich ständig in der Öffentlichkeit als anders darstellt, denn auf diese Weise macht sich das normal sein Wollende selbst fremd, indem es sich lautstark abgrenzt. Das Andere wird also wohl nur dann in Ruhe gelassen, wenn es nicht ständig explizite darauf besteht, anders zu sein. Anderssein muß zur Selbstverständlichkeit werden und dazu trägt das selbstverständliche Verhalten des Andersseienden entscheidend bei. Wer sich die Freiheit der Akzeptanz erarbeiten möchte, muß demnach eigentlich nur so sein, wie er ist, nicht mehr aber auch nicht weniger.
Diese Überlegungen lassen sich auf alle Verhältnisse, innerhalb derer sich Haß entwickeln kann und entwickelt, übertragen. Ausländer – Inländer, Christen – Muslime, Linke – Rechte, Arme – Reiche und – hier fasse ich mir auch an die eigene Nase, wenngleich ich das sportlich-humoristisch-akademisch und vollkommen ohne Haß sehe – Protestanten – Katholiken oder Westfalen – Rheinländer! Das Geheimnis von gegenseitiger Toleranz und wechselseitigem Respekt liegt in der Beseitigung des Fremden am jeweils anderen. Und der Schlüssel zur Erreichung dieses Zieles liegt mehr in der Hand des Andersseienden als in der seines oft die Mehrheit repräsentierenden Gegenüber. Eine akzeptiert werden wollende Minderheit muß also maßgebliche Arbeit leisten, um integriert zu werden. Und dabei ist das ständige Herausstellen der Andersartigkeit genau das falsche Mittel. Das sollten alle, aber – und das sage ich nicht, um Verantwortung abzuschieben – insbesondere die Anderen einmal bedenken.
Eine Gesellschaft lebt dann in Ruhe und befindet sich trotz aller Verschiedenheit in der Balance, wenn niemandem etwas fremd vorkommt oder ihn gar besorgt. Daran gilt es zu arbeiten, jeder nach seinem Vermögen und seiner Verpflichtung. Dabei ist die Wahl der Mittel entscheidend. Die Gemeinschaft muß die permanente Einladung an jeden Redlichen zur Integration verkörpern, und der zu Integrierende muß die Einladung annehmen und sich integrieren wollen, nur dann wird er vollwertiges Subjekt in einer Gemeinschaft. Wenn er dabei aber fürderhin auf seiner Fremdartigkeit ausdrücklich und ständig beharrt, wird er kein Teil der Gesellschaft, sondern bleibt – was ihm unbenommen ist, wenn er das will – ein Fremder, der natürlich, solange er sich nichts zu Schulden kommen läßt, das Recht auf unbehelligtes Leben hat, sich aber nicht beschweren darf, wenn ihn die anderen Kinder im Sandkasten nicht mitspielen lassen. Jeder hat die Wahl.
Nach dem Schreiben dieser Kolumne, kann ich mir irgendwie schon besser Herrn Mronz, dem ich hiermit auch mein herzliches Beileid aussprechen möchte, am Totenbett seines Mannes vorstellen. Geht doch! In diesem Sinne
gute Nacht!
Ihr/Euer Wolf