wolfsgeheul.eu vom 07.01.2016

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Ein Tag ohne Zeitung! Heute morgen war zum zweiten Male innerhalb weniger Tage meine FAZ nicht im Briefkasten. Probleme mit der Liefermenge für meinen Zustellbezirk, sagt die Hotline, was bedeutet, daß auch die Tankstelle oder der Supermarkt in der Nähe keine bekommen haben. Man muß sich also tatsächlich in Verzicht üben. Wenn aber das Morgenritual „Espresso, Zigarette, Frankfurter“ ohne letztere stattfinden muß, ist der Tag irgendwie verdorben. Das Internet ist kein Ersatz. Es ist schon erstaunlich, wie sich Dinge über fast vierzig Jahre einschleifen können und welch nachhaltige Wirkung Störungen der Routine auf mich ausüben.

Genug geklagt und von mir erzählt! Meine Tochter hat im Rahmen ihres Studiums zum Grundschullehramt für das Hauptfach Sozialkunde am Institut für Politikwissenschaft der Universität zu Passau im Rahmen einer Vorlesungsreihe, die sich vornehmlich an angehende Staatswissenschaftler richtet, eine mit „Gut“ benotete Hausarbeit geschrieben, die sie ihrem – natürlich zu Unrecht – als überkritisch verschrieenen Vater auf dessen drängendes Bitten hin zwar zögerlich, aber jetzt doch dankenswerterweise zur Kenntnis gebracht hat. Zunächst gilt es, einmal respektvoll zu konstatieren, daß das Vorurteil, Grundschullehramt sei ein Schmalspurstudium und akademisch nicht besonders anerkennenswert, überholt ist und offensichtlich nur von alten PH-Tagen herrührt.

Viel interessanter und für mich überraschender aber ist die Thematik der Arbeit, die nämlich die seriösen „ABC-News“ mit der „Late Show with Stephen Colbert“ vergleicht. Nun muß man wissen, daß Colbert den berühmten David Letterman, der wiederum ein Vorbild für die „Harald Schmidt Show“ war, beerbt hat. Diese Show ist aber, schon wegen entsprechender Gäste, weitaus politischer, als es das Schmidtsche Pendant jemals war, und trägt auch Züge der amerikanischen „Daily Show“, die in der deutschen Adaption als „Heute Show“ bekannt geworden ist.

Niemals wäre mir in den Sinn gekommen, die „Tageschau“ mit der „Heute Show“ zu vergleichen. Wie ich aber lernen durfte und mußte, ist das keineswegs so abwegig. Während nämlich die älteren Zuseher die althergebrachten Nachrichtensendungen konsumieren, schauen immer mehr Jüngere vornehmlich die News-Satire-Formate. Die Nachrichtensatire ist für manche also nicht mehr die komödiantische Kirsche auf der Fakten-Torte, sondern der News-Kuchen selbst. Nun stellt die zitierte Arbeit zwar nachvollziehbarer- und richtigerweise fest, daß wesentliche Inhalte der verhohnepipelnden Sendungen nur zu verstehen sind, wenn man als Basis über Kenntnisse der tatsächlichen Ereignisse verfügt, aber es stellt sich doch die Frage, wie eine Generation dieses Wissen überhaupt gewinnen soll, wenn sie die entsprechenden Sendungen gar nicht mehr ansieht. Das kann doch nur bedeuten, daß diese Zuseherschaft letztlich nur den erkennbaren Nachrichtenkern, den die Satire-Sendung gleichwohl transportiert, aufnimmt und daraus ihr politisches Wissen und Urteil ableitet. Das erklärt dann aber auch die eher claqueurhaften Zuschauer im Studio der „Heute Show“. Sie verstehen nur den billigen Klamauk, der um die Nachricht gebaut wird. Während Harald Schmidt die Pointen, für die tieferes Verständnis vonnöten war, noch genüßlich verpuffen ließ und damit das Niveau seines Publikums rücksichtslos entlarvte, dürfen heute alle euphorisiert mitlachen, auch wenn sie tatsächlich praktisch nichts verstanden haben. Und diese Menschen dürfen dann wählen! Kein Wunder ist es damit auch, daß viele heute so empfänglich für Verschwörungstheorien zu sein scheinen. Ebenfalls nachvollziehbarer werden auf dieser Basis die überwiegend unreflektierten Entrüstungsstürme – Shitstorms – in den sozialen Medien. Wenn man das weiterdenkt, muß einem fast angst und bange werden.

Anstatt also dem erstaunlichen Phänomen tatenlos zuzuschauen und eventuell noch weitere Verblödungsformate nachzulegen, muß dringend überlegt werden, wie man der jüngeren Generation die für ein ausgewogenes Urteil notwendigen Fakten so aufbereitet, daß sie willens und bereit ist, die Nahrung an- und aufzunehmen. Gelingt das nicht, werden wir zunehmend von Menschen beerbt, die zu einem klaren Judiz gar nicht mehr fähig sein können. Vielleicht muß ich diesbezüglich auch mein bisheriges Urteil über die in meinen Augen unerträglich wurschtig daherkommende „Heute+“-Nachrichtensendung revidieren. Sie richtet sich erstens nicht an mich und ist zweitens wohl bitternötig, um der Zielgruppe die Nachrichten doch noch in ihre „Silicon Valley-Trichter“ zu füllen. Da warten große Aufgaben, wollen wir eine totale Verblödung vermeiden. Und das schlechte Gefühl, morgens keine Tageszeitung auf dem Frühstückstisch vorzufinden, wird mehrheitlich auf die IT-Generation nicht mehr übertragbar sein. Die Lösung liegt jenseits des Papiers. Das mag man beklagen, aber man muß es akzeptieren und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Wir gehören eben zum alten Eisen, und nach uns wird die Welt komplett anders funktionieren. Es wäre aber schön, wenn sie wenigstens schlau bliebe.

Herrlich, wenn die Jugend dem Alter die neue Welt erklärt und zu dessen Meinungsbildung beiträgt. Danke, liebe Tochter!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 21.06.2015

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Aus Recherchegründen habe ich auf YouTube nach einer bestimmten „Harald-Schmidt-Show“ aus der ersten Ära bei SAT1 von 1995-2003 gesucht, bin dabei hängengeblieben und konnte kaum aufhören, eine nach der anderen zu schauen. Nun neige ich dank guter Erziehung zur Souveränität in keinster Weise zu Götzenverehrung, aber Herr Schmidt macht es selbst mir nicht leicht, mich vor ihm nicht zu verneigen. Man wird regelrecht sentimental, wenn man sieht, was es einmal im Fernsehen – und das sogar im privaten – gab. Die Frage, die sich aufdrängt, ist, warum es weder vorher noch nachher etwas Vergleichbares gab und gibt.

Was waren die Qualitäten? Natürlich ist zuallererst die außerordentliche Begabung von Harald Schmidt zu nennen. Da merkt man aber auch, daß gelernt, gelernt ist. Fertig ausbildeter Schauspieler, im zumindest damals hohen Haus des „Kommödchen“ kabarettistisch erweitert und verfeinert und dann von der Bühne vor die Kamera! Da werkelt eben kein dreister, eitler, talentierter Metzger oder dümmlicher, redseliger, abgebrochener Student, sondern ein Profi. Und, was für mich entscheidend ist, war die häufige Präsenz. In der Rückschau zeigt sich nicht nur ein „semper idem“, es öffnet sich vielmehr ein Almanach, der, weil sich meist nur die Personen, aber nicht die Themen ändern, kaum an Aktualität eingebüßt hat. Hinzu kam Nonsense, Extraordinarität und Mut zur Freiheit der Kunst. Das ganze hatte aber auch durchaus journalistische Seiten, und so muß ich konstatieren, daß die Show auch die am längsten sich gehalten habende nahezu tägliche Kolumne, die es sich sogar leisten konnte, sich nicht nur auf ein Thema zu beschränken, war. Das hatte Geist und Witz, und hier und da bildeten sogar die Gäste eine kongeniale Ergänzung und waren nicht nur kommerzielles Kanonenfutter in eigener Sache.

Keine Zeitung leistet dies in dieser exemplarischen Abbildung des Tagesgeschehens bei gleichzeitiger Bedienung von Kunst-, Satire- und Zynismusbedürfnissen, insbesondere schafft kein Medium dieses Durchhalten von Unangepaßtheit und Nonkonformität. Unvergessen sind die Sendungen in französicher Sprache – liebe Franzosen, schaut euch diese Verbeugung vor der Grande Nation an und überdenkt noch einmal, ob ihr Deutsch an den Schulen wirklich abschaffen wollt -, im Dunkeln und mit dem Rücken zu Kamera. Das ganze stellt eine einmalige Leistung dar und erklärt, warum man Harald Schmidt so schmerzlich vermißt. Außer Olli Dittrich und dem ein oder anderen Tatort erreicht keine Sendung des deutschen Fernsehens mehr annähernd ein solches Niveau.

Nun mag es sein, daß Typen wie Schmidt nicht zweimal existieren. Was sollte auch eine Kopie!? Aber es kann doch nicht angehen, daß es niemanden mehr geben soll, der auf seine Art nicht ähnlich gut ist. Deshalb, liebe TV-Medien, sucht einen solchen Mann und gebt ihm schleunigst eine tägliche Late-Night-Show. Wie wollt ihr sonst die mutmaßlich immer noch vorhandenen Millionen Menschen wieder vor den Schirm holen, die so etwas wollen und goutieren? Oder reichen euch etwa die Einschaltquoten des tumben Volkes, so daß ihr auf die paar Anspruchsvolleren verzichten könnt?

Solange Harald Schmidt nicht wiederkommt oder ein adäquater Ersatz gefunden ist, brauche ich jedenfalls das Fernsehen kaum bis gar nicht mehr. Die Buchindustrie und das Internet, welches voller befriedigender Konserven ist, können sich derweil an mir gütlich tun. Wenn man keine Qualität liefert, laufen einem die Kunden eben davon.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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