wolfsgeheul.eu vom 24.11.2016

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Es wunderte mich nicht, verlöre ich jeden Tag Leser. Nur, worüber soll man zur Zeit schreiben?

Es passiert nichts Bahnbrechendes. Trump scheint schlauer als gedacht und läßt die genauso hysterischen wie hirnlosen Mahner verstummen, das EU-Parlament betreibt in Bezug auf die Türkei Symbolpolitik, unzählige Afrikaner planen fürderhin ihren Umzug ins Paradies, in Syrien sterben jeden Tag Menschen, der großartige Herr Schulz, dessen Karriere in Europa man schon nicht verstanden hat, hält sich im Alter reif für Berlin, Frau Dr. Merkel wurschtelt weiter wie bisher und bereitet lediglich mit der SPD noch einige Wahlgeschenke vor, die Rechten können sich fortdauernd ungehindert ausbreiten und die Intelligenzia schweigt hartnäckig. Stattdessen rennen die Bekloppten weit vor dem ersten Advent auf die kommerziellen Weihnachtsmärkte und alles versinkt im dumpfen Glühweinnebel.

Letzterer muß auch hinter den täglich wechselnden hochaktuellen Konjunkturnachrichten stecken. Während man bei der morgendlichen FAZ-Lektüre noch die Überschrift „Wirtschaft bleibt zuversichtlich“ findet, darf man im Laufe des Vormittages schon auf T-Online die AFP-Nachricht „Deutsche Wirtschaft verliert an Schwung“ lesen.

Die offensichtliche Tatsache, daß selbst unsere Experten orientierungslos im Trüben zu fischen scheinen, gibt nicht gerade ein Gefühl von Sicherheit. Und sie langweilt und lähmt geradezu!

Was also tun? Ebenfalls in ablenkende Feierlaune verfallen und auf Facebook jeden Tag posten, was man wieder Tolles an sinnfreien Freizeitaktivitäten abgeleistet hat? Resignieren? Natürlich nicht! Aber was dann?

Vielleicht hülfe es uns, kämen die Menschen einmal zur Besinnung. Dafür bietet sich die kalte, stille Jahreszeit eigentlich an. Nur darf man dann nicht jede freie Minute mit irgendeinem oberflächlichen Amüsement verbringen, sondern muß sich bei guter Musik und einem Glas Rotwein einfach nur in den Sessel setzen und beispielsweise reden, ein Buch zur Hand nehmen oder schlicht seinen Gedanken nachhängen.

Wer sich dafür keine Zeit nimmt, wird fremdbestimmt früher oder später vom Strudel der Beliebigkeit verschluckt werden. Dann allerdings möge bitte keiner klagen und vorwurfsvoll behaupten, er sei nicht gewarnt worden respektive niemand habe ihm Ratschläge gegeben, die Katastrophe zu verhindern.

In diesem Sinne wünsche ich eine friedliche und ergiebige Vorweihnachtszeit.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

 

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wolfsgeheul.eu vom 26.08.2016

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Leichen-Bilder waren einmal der Ritterschlag für Absolventen der Meisterschulklassen der Dokumentarphotographie, und wer es gar schaffte, ein totes Kind abzulichten, dem war ein Platz in der Walhalla der rasenden Linsengucker sicher. Die ganz hohe Schule stellten eine Zeit lang Väter in Syrien oder Palästina mit ihren toten Kindern im Arm, eine moderne Interpretation der Pietà, dar. Mit dem Photo des toten Flüchtlingsjungen am Strand(s. Kolumne vom 08.09.2015) ist der Schnappschuß dann aber ein wenig nach hinten losgegangen. Außer dem merkwürdigen Herrn Weiwei, der sich sogar gleich danebenlegte – allerdings, nachdem seine Bilder im Kasten waren, nicht zur Freude aller sich auch sofort wieder aufhelfen ließ -, fand das eine Vielzahl von Menschen nicht mehr gut. Hier war jemand zu weit gegangen.

Die Auswirkungen wurden von vielen Nikon-Jüngern als unzulässige Einschränkung empfunden, sehen sie es doch als ihre originäre Aufgabe an, die grausame, nicht gestellte Welt, derselben unverstellt vor Augen zu halten. Dabei unterschätzten sie immer schon das Vorstellungsvermögen der Menschen, die nicht alles sehen müssen, um es zu erfahren, zu begreifen. Ebenso begaben sie sich in die Gefahr, lediglich die Sensationslust der Sofa-Gaffer zu bedienen und damit statt aufzurütteln, mehr die Abstumpfung zu befördern. In dieser Spirale ergab sich faktisch der Zwang, immer fürchterlichere Photos zu schießen, um überhaupt noch eine Reaktion beim Betrachter zu erzielen und die Kassen klingeln zu lassen.

Vielleicht brauchte es den armen ertrunkenen Jungen, um eine Umkehr einzuläuten!? Aber was ist tatsächlich der Effekt?

Jetzt feiert ungefragt der bemitleidenswerte staubeingehüllte Aleppojunge auf dem Klappsitz des Rettungswagens traurige Klickrekorde. Genauso schrecklich, aber das Kind lebt! Statt das traumatisierte Häufchen Elend entweder allein zu lassen oder ihm die Hand zu tätscheln bzw. den Kopf zu streicheln, hält der heuchlerische Kurzdistanzvoyeur ohne Skrupel voll drauf und schert sich in Wahrheit einen Dreck um dessen Schicksal. Für Sentimentalitäten und menschliche Gesten ist in der wilden Hatz auf das letzte aller Photos kein Raum. Drei Häuser weiter wartet schon das beinamputierte Minenopfermädchen mit dem herzzerreißend süßen Gesicht auf sein Photoshooting. „World Next Kriegsversehrten Top Model“! The show must go on.

Und für die etwas weniger Mutigen unter den Bilddokumentionshelden, die es scheuen, in wahrhaftig pulvergeschwängerten Krisengebieten auf Safari zu gehen, gibt es ja zum Glück allenthalben Naturkatastrophen. Wie das Erdbeben in Italien! Erstens kann man da schnell mit dem Mietwagen von Rom aus hingelangen und abends am Ufer des Tiber trotzdem genüßlich seinen Pinot Grigio schlürfen, und zweitens hält sich das Risiko, wenn man sich im Freien sowie fern von einsturzgefährdeten Gebäuden bewegt und nicht etwa an Aufräum- und Sucharbeiten teilnimmt, in überschaubaren Grenzen. Also Objektivdeckel ab und den Auslöser gedrückt! Die Presseheinis warten bereits sehnlichst auf die bunten Horrorbildchen, denn die Schlagzeilen dazu sind schon geschrieben.

So wie vermutlich bei der dpa-Meldung auf T-Online gestern mit „Viele Kinder bei Erdbeben ums Leben gekommen“! Das bringt allerdings den Kamerabediener ins Schwitzen! Wie war noch die Regel für Kinderleichen? „Für dich habe ich heute leider kein Photo.“! Mist! Aber nicht verzagen! Da geht trotzdem was. Also schnell eine Mädchenpuppe in den Trümmern gesucht, und der zum Artikel passende Schnappschuß(Reuters) ist im Kasten( s. Link: http://www.t-online.de/eltern/familie/id_78797200/erdbeben-in-italien-viele-kinder-sind-unter-den-toten.html )! Hohe Kunst, denn man muß tatsächlich zweimal hingucken, um zu erkennen, daß da kein echter Leichnam liegt!

So etwas aber erfüllt die Voraussetzungen an einen moralischen Umgehungstatbestand und ist deshalb nicht minder verwerflich. Liebe Journalisten, erklärt uns einfach die Welt wortmächtig, wie es eure (Auf)Gabe ist, dann braucht es nämlich keine Bilder! Und die widerlichen Gaffer am Auslöseknopf könnten sich doch zum Beispiel als Hochzeitsphotographen – ein Ereignis, das häufig den Ausgangspunkt für die Geburt von Kindern bildet und/oder auch den Beginn einer Katastrophe darstellen kann, insofern also ebenso in ihr Beuteschema passen müßte – ihr kärgliches Brot verdienen. Der sensationsgierbefriedigenden Photos jedenfalls bedarf es nicht, um zu verstehen, daß die Menschheit auf beiden Seiten oft verabscheuungswürdig ist. Laßt sie weg!

Ansonsten gucken wir bald nicht mehr hin beziehungsweise schließen trotzig unsere Äugelein und sagen leise

gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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