wolfsgeheul.eu vom 16.07.2015

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Jetzt ist das Urteil in Lüneburg gefallen, so daß ich nach meinen Kolumnen vom 21. und 27. 04.2015 auch hierauf eingehen möchte. Die bitterböse „Titanic“ titelt heute online unter der Rubrik „Fast richtige Schlagzeilen“ „Überraschend hartes Urteil: Oskar Gröning muß ins KZ“. Darüber muß man nicht in Lachen ausbrechen, wenn aber doch, soll es einem ohnehin wie bei Beckett im Halse stecken bleiben. Wie so oft liegt ein Kern Wahrheit in der Satire.

Die vier Jahre Strafe für Oskar Gröning sind in meinen Augen nämlich ein wohlfeiles politisches Urteil.

Rechtlich bleibt es gelinde gesagt fragwürdig. Direkte Beteiligungen an Tötungshandlungen – nach meiner Auffassung die einzige Möglichkeit, zu einer Verurteilung zu gelangen – sind nie behauptet und im Laufe der Beweisaufnahme auch nicht ans Licht gebracht worden. Selbst aber maßgebliche Mitarbeit mit Entscheidungskompetenz bei den Selektionen an der Rampe, die beim Demjanjuk-Prozeß juristisch zweifelhaft als ausreichend angesehen worden ist, wurde nicht nachgewiesen. Die Lüneburger Richter gehen also noch einen Schritt weiter, was faktisch bedeutet, daß jeder, der, egal wo, in einem Konzentrationslager Dienst getan hat oder tun mußte, sich der Beihilfe zum Massenmord schuldig gemacht hat. Mit großer Wahrscheinlichkeit dürfte die Revision damit das Urteil aufheben; meiner festen Überzeugung nach müßte sie es tun.

Warum spricht man dann trotz der großen öffentlichen Aufmerksamkeit ein mutmaßlich falsches Urteil, bei dem man vielleicht sogar unterstellen kann, daß der Spruchkörper das sehenden Auges getan hat?

Oskar Gröning ist 94 Jahre alt, und seine Gesundheit ist entsprechend stark angeschlagen. So dürfte eine Haftfähigkeit nicht gegeben sein, womit eine Vollstreckung bereits scheitert. Außerdem muß mit der Rechtsmitteleinlegung der Verteidigung gerechnet werden, so daß auch so der Haftantritt in sehr weite Ferne rückt. Hat man deshalb einfach einmal im luftleeren Raum vier Jahre verhängt, weil man weiß, daß der vermeintliche Delinquent niemals einrücken muß und mit hoher Wahrscheinlichkeit vor endgültiger Entscheidung ohnehin eines natürlichen Alterstodes sterben wird?

Das Urteil ist eine vertane Chance. Und wieder hat die bewunderungswürdige Eva Kor als Holocaust-Überlebende die richtigen Worte gefunden, wenn sie sagt, es wäre besser gewesen, „man hätte ihn zu Sozialdienst verurteilt, um gegen Neo-Nazis zu sprechen“. Rechtstechnisch wäre das eine Einstellung unter Auflage und in meinen Augen mit Zustimmung aller Beteiligten durchaus möglich gewesen. In Zeiten des Fremdenhasses und brennender Flüchtlingsheime könnten die letzten Zeitzeugen des Nazi-Terrors vielleicht einiges an Überzeugungsarbeit leisten, um diese verbohrten Neo-Nazis zur Einsicht und Umkehr zu bewegen.

Nicht verschweigen will ich, daß der Prozeß gleichwohl etwas Großes geleistet hat, weil Oskar Gröning, der auch hätte schweigen können, die Gelegenheit genutzt und sich ausdrücklich und eindeutig zu seiner moralischen Schuld bekannt hat, was sogar die Nebenkläger mit Respekt gewürdigt haben. Das ist doch ein großartiges Zeichen, daß hier jemand im Angesicht seines wohl nahen Todes hat setzen können. Die Bühne dafür geschaffen zu haben, dafür ist den Verfahrensbeteiligten allerdings zu danken.

Aber anstatt jetzt in Deutschland hastig weitere Anklagen zuzulassen, um in langwierigen Prozessen ähnliche Urteile zu produzieren, sollte lieber im Korschen Sinne schnellstens überlegt werden, wie man – zum Beispiel mit Einstellungen unter Auflage – die letzten noch lebenden Mitläufer des Dritten Reiches dazu bewegen und bringen kann, erstens in ähnlicher Weise wie Gröning ihre moralische Schuld einzugestehen und zweitens der Nachwelt zur Überzeugung zu verhelfen, daß eine solche Stimmung und Lage, die den Holocaust erst möglich machten, nie wieder entstehen können und dürfen. Und für führende Historiker, Soziologen und Pädagogen müßte es doch ein Leichtes sein, hierfür kurzfristig eine Strategie und ein tragfähiges Konzept zu entwickeln und umzusetzen. Es eilt! Die Zeit läuft bald ab.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 21.04.2015

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Nach der kleinen Verschnaufpause gestern verspüre ich heute den Drang, mich auf ultimativ schwieriges und vermintes Gelände zu begeben. Es wird leider wieder etwas länger. Anlaß ist der Prozeß gegen den sogenannten „Buchhalter von Auschwitz“, den 93-jährigen Oskar G., vor dem Landgericht Lüneburg, dem laut Anklage Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen vorgeworfen wird.

Zunächst gilt es, bei aller Brisanz des Falles mein Unverständnis darüber zu äußern, daß die Presse den Angeklagten bei vollem Namen nennt, obwohl grob gesagt der Bundesgerichtshof in diesem Thema den Schutz des Persönlichkeitsrechtes einzig bei weithin bekannten Personen des öffentlichen Lebens hinter das Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurücktreten läßt. Wer aber hat bisher den Angeklagten gekannt!? Was rechtfertigt also hier eine abweichende Handhabung?

Sodann möchte ich mich der Frage widmen, ob das Tun des Angeklagten vor über 70 Jahren im Vernichtungslager Auschwitz tatsächlich strafrechtlich relevant sein kann und sein sollte.

Voranstellen möchte ich, daß der Holocaust von allen drei großen Völkermorden des 20. Jahrhunderts, wie sie der Papst neulich richtigerweise benannt hat, der perfideste war; diese fabrikmäßige Tötungsmaschinerie ist unzweifelhaft beispiellos und stellt – hoffentlich für alle Zeiten – den traurigen Höhepunkt in der Geschichte menschlicher Greueltaten dar; damit müssen wir Deutschen leben. Machthaber und deren Führungsriege, die so etwas anordnen und durchführen lassen, sind vollverantwortlich und gehören der höchstmöglichen Bestrafung zugeführt. Dafür gab es in der Hauptsache richtigerweise die Nürnberger Prozesse, die man zumindest vom Grundsatz her nicht kritisieren kann, weshalb hier auf das Eingehen zu Einzelheiten verzichtet werden soll. Die eigentlich interessante Frage stellt die nach der strafrechtsrelevanten Schuld der Ausführenden dar, also denen, die der aktuell Angeklagte Oskar G. bezogen auf sich bereits Mitte der achtziger Jahre als „Rädchen im Getriebe“ – ob der Diminutiv hier verharmlosend klingt und sein soll, lasse ich dahingestellt – bezeichnet hat.

Offenbar unstreitig hat Oskar G. sich selbst weder an den sogenannten „Selektionen“, noch an Tötungshandlungen direkt und aktiv beteiligt; er soll sogar Vorgesetzte eingeschaltet und um seine Versetzung an die Front(!) gebeten haben, nachdem er Augenzeuge von grausamen Morden außerhalb des Auschwitzgeländes geworden war. Das erklärt, warum ihm bisher trotz Ermittlungen auch nicht der Prozeß gemacht wurde, weil die Rechtsprechung nach dem Krieg grob gesagt eine eigene Tätigkeit des Beschuldigten forderte, die ohne jeden Zweifel mit Ermordungen praktisch unmittelbar in Verbindung stand. Hiervon ist erst im Jahre 2011 vom Landgericht München im Demjanjuk-Verfahren abgewichen worden, das eine Verurteilung vornahm, ohne daß dem Angeklagten eine konkrete Tat zugeschrieben werden konnte; wichtig zu erwähnen ist hier aber die Tatsache, daß dieses Urteil niemals Rechtskraft erlangt hat, da beide Seiten, also Anklage und Verteidigung Revision gegen das Urteil eingelegt haben und Demjanjuk darüber verstarb. Auch hier soll, weil es zu weit führen würde, auf die näheren Einzelheiten des Prozesses – nur eines, der Angeklagte hatte nach dortiger Verurteilung schon eine siebenjährige Haftstrafe in Israel verbüßt – nicht eingegangen werden. Gerade das Münchener Urteil aber nimmt die Staatsanwaltschaft im Lüneburger Prozeß her, um eine Strafbarkeit im Sinne der Anklage zu behaupten. Das verwundert im übrigen umso mehr, als meines Wissens dieser strenge und weitauslegende Maßstab – meiner Ansicht nach richtigerweise – ebenfalls nicht auf die Beteiligten an den Mauertoten in der bundesrepublikanischen Rechtsprechung nach der Wende angewandt worden ist, also nur Schützen und Befehlsgeber verurteilt wurden. Es wird demnach spannend sein, den weiteren Prozeßverlauf zu beobachten.

Meiner Ansicht nach ist das Landgericht München damals zu weit gegangen. Erstens ist nach Nazideutschland glücklicherweise gerade nicht gemäß dem Motto verfahren worden, daß man die Kleinen gehängt und die Großen laufen gelassen hat. Zweitens stellt sich doch die Frage, wie weit man strafrechtlich – hier geht es ausdrücklich nicht um die moralische Seite, die man sicher anders und kontrovers diskutieren kann – für eine Verurteilung ausreichend Schuld auf die Beteiligten herunterbrechen kann. Mit der Argumentation der Münchener Richter könnte man wohl jedenfalls jede Putzfrau, die in einer Konzentrationslagerverwaltung ihren Dienst getan hat, letztlich aber vielleicht sogar jede Mutter, die ihre Kinder ernährt und großgezogen hat, so daß sie später unter anderem für Arbeiten in Vernichtungslagern zur Verfügung standen, verurteilen. Alles nur eine Frage der Kausalität! Damit hätte man den Hebel, um fast ein ganzes Volk, das unter einer Diktatur lebte und handelte, ja handeln mußte, ins Gefängnis zu stecken. Da kann etwas nicht stimmen.

Um das Verfahren gegen Oskar G. überraschend und fragwürdig zu finden, braucht man sich also gar nicht mit der Frage zu befassen, ob man einem Soldaten, der mit großer Sicherheit jede Verweigerung welcher Handlung und Tat auch immer mit dem eigenen Tod bezahlt hätte, überhaupt sein Tun vorwerfen kann. Wohlgemerkt meine ich in dieser Frage mit „Soldat“ nicht den, der „hier“ schreit und die „Gunst der Stunde“ nutzend mit der Ausführung staatlich „erlaubter“ Taten quasi legal seine eigenen niederen Motive und Lüste befriedigt, sondern den Menschen wie du und ich – ausdrücklich denke ich dabei auch an meinen 93-jährigen Vater, der ebenfalls den Krieg hautnah miterleben mußte, aber letztlich das, falls man überhaupt in diesem Zusammenhang davon sprechen kann, Glück hatte, nicht an der Ostfront, in der Normandie oder gar in einem Konzentrationslager dienen zu müssen -, der das Pech hat, in eine solche Zeit hineingeboren und in ihre Ereignisse hineingezogen zu werden und ohne Ansehen seiner damaligen Überzeugungen zum freudlosen Mittun verdammt wird, also mutmaßlich die Mehrheit. Das sollte man seinem schlimmsten Feind nicht wünschen, und meines Erachtens kann keiner, der nicht etwas Vergleichbares je hat erleben müssen, sich in eine solche Situation hineinversetzen. Wer einmal den durchaus empfehlenswerten Selbstversuch mit der furchtbaren Lektüre von Jonathan Littells Roman „Die Wohlgesinnten“ durchgeführt hat, wird wahrscheinlich wie ich wissen, daß selbst danach viele Fragen unbeantwortet bleiben und die Erkenntnis, daß das Böse in uns allen steckt, keine neue war.

Vielleicht – dies gebe ich, ohne jemanden schützen oder der Entscheidung vorgreifen zu wollen, dem Lüneburger Spruchkörper lediglich zu bedenken – sollte man das letzte Urteil vielfach Gottes Gericht allein  überlassen und sich nicht als Erdenbürger aufschwingen diesem vorzugreifen. Schließlich gilt es, allein zu berücksichtigen, daß Oskar G., den ich nicht kenne und vom dem ich auch ansonsten nichts gesichert weiß, bei Kriegsende maximal erst 25 Jahre alt war. Vielleicht war er in seinem langen Leben ein guter Mensch. Ich jedenfalls möchte mit ihm, seinen grausamen Erlebnissen, seinen mutmaßlich vorhanden gewesenen Skrupeln und sicherlich lebenslang quälenden Erinnerungen – man könnte eventuell sogar die Ansicht vertreten, daß er damit schon genug gestraft ist – was die Kriegsjahre und die Zeit danach anlangen nicht tauschen.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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