Werden Liebesschnulzen etwa genderneutral?
Zugegebenermaßen gehen mir die im Radio grassierenden Jammerlieder in deutscher Sprache irgendwelcher männlicher Weicheier gehörig auf die Nerven. Entsprechend höre ich auch nur halbherzig zu. Aber es gibt ja kein Entrinnen, und so habe ich neulich etwas mehr auf den Text geachtet und war verdutzt.
Da trällert ein Max Giesinger – offenbar eine der vielen Casting-Geburten – davon, wie erstaunlich er es findet, nach fünf Jahren Singledasein aus „80 Millionen“ seine Liebe gefunden zu haben. Das freut uns doch! Nur bleibt unklar, ob es sich dabei um eine Frau oder einen Mann oder irgendetwas dazwischen handelt. So heißt es zwar „einer von 80 Millionen“, aber im Kontext bezieht sich das auf „Menschen“, so daß sich daraus keine sicheren Rückschlüsse ziehen lassen. Und so „leuchten“ die beiden Liebenden „auf wie Kometen“, bleiben jedoch ansonsten geschlechtslos.
Darf man nicht mehr von langem Haar, sinnlichen Lippen und göttlichem Busen oder – wenn es denn sein soll – von kurzem Brusthaar, markantem Kinn und muskulösem Oberkörper schwärmen und auf diese Weise klar werden lassen, ob es sich bei der geliebten Person um eine engelsgleiche Frau oder ein gestandenes Mannsbild handelt? Oder spielen gar ökonomische Gründe eine Rolle, im Sinne eines One-fits-all-Schlagers? Wäre alles andere eventuell bereits sexistisch? Und wird sich diese merkwürdige Tendenz auch in die Literatur hineinfressen, so daß wir irgendwann nach 500 Seiten immer noch nicht wissen, ob der Ich-Erzähler Männlein oder Weiblein, geschweige denn ob er hetero- oder homosexuell ist?
Geheimnisvoll sein, ist nicht a priori eine Qualität! Lyrik beweist sich in der Art, wie sie etwas benennt. Auch sie kann, will sie gut sein, nicht alles im Ungewissen lassen. Sonst tönt es allein hohl.
Haben wir nicht auch in etwa 80 Millionen Hunde in Deutschland? Vielleicht hat sich Herr Giesinger also auch nur in einen haarigen Vierbeiner mit feuchter Nase verliebt!?
Wuff!
Gute Nacht!
Ihr/Euer Wolf