wolfsgeheul.eu vom 09.09.2015

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Die Welt dreht sich immer schneller und innerhalb von gut zwanzig Jahren kann sich der Stil einer Marke radikal ändern. Die Rede soll sein von „Mercedes-Benz“.

Dabei soll es weniger um die Präsentation im Autohaus gehen, wenngleich auch hier ein merklicher Wandel sich vollzogen hat. Während man noch vor rund vierzig Jahren taxiert und von oben herab behandelt wurde, war die Atmosphäre vor zwanzig Jahren schon etwas entspannter und freundlicher. Heute dagegen kann man weder von dem einen noch von dem anderen sprechen. Der Kunde wird gar nicht mehr wahrgenommen, er kann sich stundenlang im Luxus-Showroom aufhalten, ohne überhaupt beachtet zu werden. Und wenn man aktiv auf einen dieser Schreibtisch-Verkäufer zugeht, steht der zumeist noch nicht einmal auf. In der Folge werden dann zum Beispiel auch versprochene Rückrufe zur Vereinbarung einer Probefahrt geflissentlich vergessen. Man hat es wohl nicht mehr nötig.

Was aber viel eindrücklicher erscheint, ist die Art der verbalen Anpreisung der Produkte in den Katalogen.

Früher ging es vornehm und dezent zu, man war selbstbewußt, aber nicht überheblich. Heute quillt aus dem Hochglanzprospekt die Arroganz, die Selbsbeweihräucherung und die Hybris nur so hervor. Im zwanzig Jahre alten Katalog für die Coupés der E-Klasse redet man den Leser mit „Sehr geehrte Kundin, sehr geehrter Kunde,“ an, für die heutigen barocken Kisten fällt man mit der Tür ins Haus „Die E-Klasse. In Bestform.“. Gegen „Tugenden wie Zuverlässigkeit, Umweltverträglichkeit und Sicherheit mit kultivierter Kraft und dem Flair eines wirklich ungewöhnlichen Automobils“ steht „Schöner kann man Vorwärtsdrang nicht modellieren“. Das alte Coupé ist „dezenter als ein Sportwagen“ und hat „klare, klassische Linien“, „elegante Proportionen“, das neue steht für „in athletischem Schwung geformte Flanken“ und streckt sich „spannungsvoll nach vorne – den Straßen der Welt entgegen“. Und früher galt „Ein Bild sagt bekanntlich mehr als 1000 Worte – und eine Probefahrt mehr als 1000 Bilder“; heute ist das Wort „Probefahrt“ im gesamten Katalog gar nicht mehr zu finden.

Und genau deshalb machen die heutigen Mercedes-Automobile und viele ihrer Besitzer auch immer ein bißchen auf dicke Hose. Neumodischer Protz begegnet alter schwäbicher Solidität mit einer Prise Eleganz.  Zurückhaltung und stiller Genuß treffen heute auf einen eher aufdringlichen Habitus. Die Straßen dieser Welt werden immer besser, und die Fahrzeuge darauf immer beliebiger, spielen aber gewaltig mit den Muskeln. Da steht Unterhemd gegen Smoking. Zwanzig Jahre ändern tatsächlich eine Marke. Schade, denn früher galt einmal Konstanz als Qualität.

Schön, daß es den alten Stil noch gibt. Und er hat nichts an Aktualität verloren, im Gegenteil, wir bräuchten ihn mehr denn je. Denn Hochmut kommt vor dem Fall.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

 

 

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wolfsgeheul.eu vom 08.09.2015

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Was für eine Aufregung um ein Bild!

Ein Teil der Presse hat sich in den letzten Tagen gegenseitig mit moralinsauren Kommentaren und Aktionen im Gutmenschsein übertroffen. Es geht um das Photo eines toten syrischen Jungen, der an einen türkischen Strand gespült wurde. Die FAZ, aber auch z. B. die Freie Presse begründeten wortreich, warum sie dieses Bild nicht abgedruckt haben, während andere, auch die internationale Konkurrenz damit eher kein Problem hatten respektive den Abdruck umfangreich rechtfertigten. Den krönenden Abschluß setzte die Bild-Zeitung, die auf ihrer Online-Ausgabe für eine gewisse Zeit alle Photos wegließ, um aus ihrer Sicht zu beweisen, wie wichtig die Bildinformation ist, um einen Sachverhalt zu erfassen.

Mit letzterem hat die Bild-Zeitung in Bezug auf sich selbst natürlich recht; sie widerspräche ohne Photos schon ihrem Titel, und angesichts ihrer zum Teil kargen und schlichten Wortinformationen ließe sich manches sonst auch kaum umfassend verstehen. Von den nackten Mädchen ganz zu schweigen, die sich nur über die Abbildung erschließen und nicht über ihre ansonsten nicht vorhandenen Eigenschaften, die ihnen angedichtet werden.

Keiner aber stellte die in meinen Augen wichtigste Frage. Mußte diese Photographie überhaupt entstehen?

Der todesmütige Kameraakrobat hat eine in absoluter Ruhe befindliche Leiche abgelichtet. Tut man das? Meiner Meinung nach nicht! Es gilt doch auch der allgemeine und richtige Komment, daß Opfer eines Unfalls im Straßenverkehr oder einer Straftat nicht beziehungsweise wenigstens nicht ohne ein Leichentuch auf Zelluloid gebannt werden. Vorliegend handelt es sich um das Opfer eines Schiffsunglückes. Daß es das Kind einer Flüchtlingsfamilie war, das von kriminellen Schleusern, aber auch – was leider ebenfalls total vergessen wird – von den eigenen Eltern in unverantwortlicher Weise in Gefahr gebracht worden ist und darin umkam, ändert hieran nicht im geringsten etwas. Im übrigen ergeben sich alle diese Aspekte nicht aus dem Bild an sich, sondern nur aus seiner Erläuterung. Damit ist es obendrein ein vollkommen nichtssagendes Bild.

Die einzig richtige Reaktion aller seriösen Presseorgane hätte also sein müssen, den Abdruck des Bildes gar nicht erst in Erwägung zu ziehen. Und wenn man etwas nicht veröffentlicht, muß man auch nicht stattdessen begründen, warum man es nicht tut. Richtig gemacht haben es in meinen Augen nur die, die nicht das Bild der Jungen-Leiche, sondern das Bild des italienischen Polizisten abgedruckt haben, der den Toten auf den Armen den Strand hochträgt. Dieses Bild spricht zu uns und deutet in einem kleinen Ausschnitt das Ausmaß der Katastrophe, nicht nur auf der Seite der Opfer, sondern auch auf der Seite der Ersthelfer, an.

Und der Abdruck des inkriminierten Bildes wäre nur notwendig und gefordert gewesen, hätte man den Photographen einer Pietätslosigkeit zeihen wollen. Diesen Aspekt aber hat offenbar und in unverzeihlicher Weise niemand bisher gesehen. Das wäre einer anständigen Aufregung wert gewesen.

Und die Moral von der Geschicht‘?

Im Zuge unserer neuen, anfallartigen, oft geheuchelten und zumeist kurzlebigen Betroffenheitskultur, bei der jeder, der dazugehören will, spontan, also ohne viel nachzudenken mitmachen muß, um nicht zu spät zu sein, versperren die in Krokodilstränen ertrinkenden Augen und ein emotionsverblendetes Hirn den Blick und die Gedanken auf das Wesentliche.

Es ist schade und nicht zu begreifen, daß dieser partielle Verlust an Vernunft und Überblick auch einer guten Zeitung wie der FAZ unterläuft.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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