wolfsgeheul.eu vom 22.07.2015

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Wie so oft fallen einem im nachhinein Dinge ein, die man hätte anders oder besser machen können und sollen. In Bezug auf meine gestrige Kolumne betrifft das die versäumte Erwähnung von Friedensnobelpreisträger(1984) und Ex-Erzbischof der Anglikaner, Desmond Tutu, dessen Rolle zur Überwindung der Apartheid und im Umwälzungsprozeß keinesfalls zu unterschätzen ist, und der, wie dem Wikipedia-Eintrag entnommen werden kann, interessanterweise schon 1975 in einem Brief an den damaligen Ministerpräsidenten von einem „Pulverfaß, das jederzeit explodieren kann“   gesprochen hat. Selten ist eine Lunte so lang, daß man sie nach anderthalb Jahrzehnten noch rechtzeitig austreten kann.

In obiger Ergänzung steckt eine weitere Erkenntnis. Veränderungen brauchen Zeit und ein konstantes daran Glauben und Arbeiten. Eigentlich eine Binsenweisheit.

Aber genau an den Eigenschaften Geduld und Hartnäckigkeit mangelt es meines Erachtens in unserer heutigen, furchtbar schnellebigen und sich kurzfristig zum Teil extrem wandelnden Zeit allzu häufig. Den Menschen geht mehr und mehr ein grundsätzliches Interesse an den wirklich wichtigen Dingen – für Sport, Urlaub und Konsum zum Beispiel gilt das nicht – verloren, der Atem wird kurz und kürzer. Und die Gier nach immer neuen Höhepunkten läßt wichtige Themen von heute schon tags darauf in den Hintergrund treten.

Einem Menschen mit festem Wertekanon, Disziplin und Prinzipien kann das aber nicht oder bei weitem nicht so leicht widerfahren. Und da verbirgt sich anscheinend der springende Punkt. Woran liegt es, daß Personen, die sich solcherart fast immun gegen Moden und Strömungen machen und gerade und redlich ihren Weg gehen, ganz offenbar nicht mehr die Oberhand haben und stattdessen die Beliebigkeit und das Sprunghafte fröhliche Urständ mit beginnend dramatischen Folgen feiern? Es ist doch erschreckend, mit ansehen zu müssen, wie tragende Säulen der Gesellschaft wie Kirchen, Parteien, Vereine  etc. zunehmend einen Exodus erleben. Bei aller berechtigten Kritik ist es doch gleichfalls eine Binsenweisheit, daß sich Strukturen und Organisationen überwiegend nur von innen heraus und durch aktive Mitarbeit wandeln lassen. Wer nicht aufbegehrt, sondern von Bord geht, kann am Prozeß nicht mehr teilhaben und überläßt kampflos das Feld, möglicherweise sogar gerade denen, die er eigentlich überwinden möchte.

Der schwächer werdende Mensch ist aber nur ein Teil des Problems. Auch die Organisationen tragen eine gehörige Mitschuld daran, daß viele ihrer Anhänger und Mitglieder zermürbt auf- und sich dem Müßiggang und Egozentrismus oder höflicher der inneren Emigration hingeben. Die gerade in Krisenzeiten sogar noch zunehmende Mentalität des Sichabschottens und Zurückziehens auf Altes und Bewährtes verschließt sich immer mehr auch Bestrebungen nach Anpassung, Veränderung und Erneuerung. Daß zum Beispiel in den Parteien weiterhin die Ochsentour vor fast jeder Karriere steht, schreckt doch zwangsläufig die ab, die von außen respektive als potentielle Quereinsteiger kommen und maßgeblich mittun möchten und könnten. Dabei verkennen die Organisationen, daß eine Einmischung von neuen Köpfen und Gesichtern eine große und erfrischende Chance für das eigene Überleben und keinesfalls eine Gefahr für die Existenz des Gesamten darstellt. Neue und unverbrauchte Ideen, ein ungetrübter Blick sowie außerhalb gewonnene Erfahrungen haben bisher keinem „Verein“ geschadet. Da es aber Altgedienten, die sich in ihrer Pfründe wohlig eingerichtet haben, berechtigt an den Kragen gehen könnte, gerät der ganze Apparat ins Stocken, stagniert und blutet früher oder später aus. Die Angst vor dem Wandel macht passiv, obwohl exakt das Gegenteil gefordert wäre.

Vielleicht und hoffentlich ist meine These, daß das Wertebewußtsein im Sinkflug begriffen sei, also sogar falsch, und in Wirklichkeit ist es so, daß die betreffenden Menschen – halb zog man sie, halb sanken sie hin – nur auf das Abstellgleis geleitet wurden. Dann wäre diese wichtige Ressource noch ungeschmälert vorhanden und müßte lediglich reaktiviert werden.

Beide Seiten müssen lernen und wieder aufeinander zugehen, um zum allseitigen Nutzen und Frommen am Erhalt einer stabilen Gesellschaft mitzuwirken.  Geschieht das nicht, werden wir zum Spielball derer, die diszipliniert, unbeirrt und in sich gefestigt die Stärke entwickeln können, die es braucht, um Verantwortung zu übernehmen und Macht auszuüben. Die potentiellen Kandidaten, an denen niemand gelegen sein kann, klopfen schon und immer lauter an unsere Tür.

Tut also mit, wenn ihr etwas verändern wollt, ohne dabei das Große und Ganze über den Haufen zu werfen. Dicke Bretter wollen gebohrt sein. Weglaufen hilft nicht nur nicht, es schadet massiv und wahrscheinlich irreversibel.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

 

 

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wolfsgeheul.eu vom 21.07.2015

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Am 18. Juli 2015 wurde der „Internationale Nelson-Mandela-Tag“ begangen. Endlich einmal ein sinnvoller Gedenktag!

Vor genau 26 Jahren war ich für drei Monate im Rahmen meiner Wahlstage als Referendar in Johannesburg bei einer der zumindest damals größten und renommiertesten dortigen Anwaltskanzleien tätig. Zu dem Zeitpunkt herrschte noch Apartheid, Botha von der konservativen National Party war Premierminister und Mandela saß bereits seit 25 Jahren immer noch in Haft auf Robben Island.

Von den überhaupt nur wenigen, die die Wahlstation für einen Auslandsaufenthalt nutzten, gingen die meisten nach Amerika, Australien und Asien oder nährten sich redlich in England oder im sonstigen Europa. Als ich damals die Chance bekam, ins rassistische Südafrika zu gehen, habe ich keinen Moment gezögert. Ein Gast macht sich doch nicht automatisch gemein mit dem Regime des Landes, das er besucht. Vielmehr hilft in meinen Augen jeder Gast aus der freien Welt, der sich vor Ort selbst ein Bild macht. Das hat aber einige Referendarkollegen nicht gehindert, mich ob meines Reisezieles trotzdem zu kritisieren.

Mich hat es nicht abgehalten, und ich möchte meine aufregende Zeit und die Arbeit dort keinesfalls missen. Das rassistische Regime war faktisch schon leicht in Auflösung begriffen. Obwohl der Group Areas Act, der das freie Siedeln der schwarzen Bevölkerung verbot und sie somit in die Townships zwang, sich noch in Kraft befand, war Hillbrow, der Stadtteil in dem mein Appartement lag, nicht nur tagsüber bereits überwiegend in schwarzer Hand. In der Innenstadt von Johannesburg spürte man fast nicht, daß Rassentrennung herrschte und direkt vor meinem Bureau zogen die ersten schwarzen Massendemonstrationen friedlich vorbei, die zwar nicht angemeldet waren, die man trotz berechtigter Bedenken aber gleichwohl glücklicherweise gewähren ließ. Es war eine genauso bange wie aufregende Umbruchzeit, der Wahlkampf – „one man, one vote“ – tobte und vieles war im Fluß. Die Menschen aller Hautfarben mischten sich und gingen mehrheitlich friedlich und freundlich miteinander um; in Wahrheit war es aber wohl eher ein Pulverfaß, das jederzeit hätte explodieren können, was wieder einmal beweist, das manches aus der Entfernung viel klarer erkennbar ist und vor Ort gar nicht so schlimm erscheint.

Natürlich war die häßliche Fratze des Rassismus noch überall sichtbar. Und – wie so oft im Leben – gerierten sich häufig die heruntergekommensten Weißen am rassistischsten. Nie werde ich vergessen, wie am ersten Abend im 24-Stunden-Supermarkt ein weißer „Penner“ die schwarze Kassiererin warum auch immer auf das Übelste brüllend niedermachte und beleidigte. Nachdem ich spontan und ohne groß nachzudenken lautstark die weiße Kreatur zur Ordnung gerufen und mich schützend vor die junge Frau an der Kasse gestellt hatte, vollzog sich für mich ein Schlüsselerlebnis. Die unschöne Situation war zwar geklärt, keiner wagte mich anzugreifen, ansonsten hatte ich aber eine totale Verwirrung angerichtet. Die Umstehenden aller Hautfarben schauten betreten weg und wollten nichts mit der Sache zu tun haben. Eine dicke, schwarze Mama mußte sich vor lauter Aufregung umgehend unter Heben der Röcke im Rinnstein vor dem Eingang erleichtern, und der ungepflegte weiße Mann verstand die Welt nicht mehr, hatte sich doch ein Rassenbruder gegen ihn gewandt. Die Kassenkraft wußte ebenfalls in keinster Weise mit dem Vorgang etwas anzufangen, hatte sie so etwas vielleicht auch erstmalig erlebt; sie konnte sich nicht sichtbar freuen, geschweige denn ausdrücklich bedanken. Ihr hatte es die Sprache verschlagen, in ihren Augen meine ich aber, Dankbarkeit gesehen zu haben.

Eine kleine Anekdote nur, genauso wie der Einstieg in den falschen Bus, der, wie sich dann herausstellte, nur für Schwarze war. Auch die gehobenen, gutsituierten weißen Konservativen, die ohne Selbstzweifel auf ihren Herrenrassenstatus pochten und eine vollkommene Gegenargumentsresistenz offenbarten, habe ich kennen und verachten gelernt. Es gab auch schon ein paar erfolgreiche Schwarze, die wiederum mit dem Problem zu kämpfen hatten, von ihren eigenen Leuten als verkappte Weiße gescholten und ausgestoßen zu werden. In viel höherer Zahl aber bin ich auf liberalere Menschen gestoßen, die genau wußten, daß es mit der menschenverachtenden – inzwischen völkerrechtlich als Verbrechen definierten – Apartheid nicht weitergehen konnte, und die im Rahmen ihrer Möglichkeiten in ihrem Umfeld schon einen deutlich anderen Umgang pflegten. Und dann waren da noch die immer gelassenen, fröhlichen Schwarzen, die in beeindruckender und vorbildhafter Weise den Widrigkeiten trotzten. Welch‘ Gegensatz zu den bei allem Wohlstandes und aller Sicherheit oft griesgrämigen Deutschen!

Was aber die ehemals imperialistischen Weißen genauso wie die sogenannten Coloureds und die Schwarzen einte, war eine tiefe und unverbrüchliche Liebe für und Sorge um „ihr“ wunderschönes Südafrika. Und alle hatten berechtigterweise Angst vor dem, was kommen würde.

Nicht von ungefähr also hat dann der liberale Frederik Willem de Klerk die Wahl gewonnen und Botha aus dem Amt verdrängt. Dabei war de Klerk zu Beginn keineswegs ein strikter Apartheidsgegner. Danach entwickelte sich aber eine Eigendynamik, der er sich zum Glück nicht verschloß, so daß bereits 1990 Mandela aus der Haft entlassen, wodurch sicher durchaus drohende Bürgerkriegszustände verhindert wurden. Und es war keineswegs eine falsche Entscheidung, daß beide, Mandela und de Klerk, 1993 für ihr Wirken den Friedensnobelpreis erhalten haben.

Trotz großer zwischenzeitlicher Schwierigkeiten hat das Land sich zurückgekämpft, vieles zum Besseren gewendet und Johannesburg, das jahrelang in der Innenstadt verwaiste und verfiel, ist wieder eine pulsierendere Metropole, die kreative junge Menschen aus aller Welt begeistert und anzieht, auch wenn noch lange nicht alles Gold ist, was glänzt. Schön, daß das so ist, und es stellt ein Vorbild für die heutige unfreie Welt genauso dar wie zum Beispiel für Deutschland, das zur Zeit unerfreulicherweise zum Teil mit fremden Kulturen hadert. Es hat mich gefreut, durch den Gedenktag wieder einmal an meine damalige Zeit im Umbruch und an die große Persönlichkeit von Nelson Mandela erinnert zu werden, und es war mir ein Anliegen, dabei auch auf die Rolle de Klerk’s hinzuweisen. Vivat, Südafrika! Jederzeit gerne käme ich wieder zu einem Besuch.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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