wolfsgeheul.eu vom 21.07.2015

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Am 18. Juli 2015 wurde der „Internationale Nelson-Mandela-Tag“ begangen. Endlich einmal ein sinnvoller Gedenktag!

Vor genau 26 Jahren war ich für drei Monate im Rahmen meiner Wahlstage als Referendar in Johannesburg bei einer der zumindest damals größten und renommiertesten dortigen Anwaltskanzleien tätig. Zu dem Zeitpunkt herrschte noch Apartheid, Botha von der konservativen National Party war Premierminister und Mandela saß bereits seit 25 Jahren immer noch in Haft auf Robben Island.

Von den überhaupt nur wenigen, die die Wahlstation für einen Auslandsaufenthalt nutzten, gingen die meisten nach Amerika, Australien und Asien oder nährten sich redlich in England oder im sonstigen Europa. Als ich damals die Chance bekam, ins rassistische Südafrika zu gehen, habe ich keinen Moment gezögert. Ein Gast macht sich doch nicht automatisch gemein mit dem Regime des Landes, das er besucht. Vielmehr hilft in meinen Augen jeder Gast aus der freien Welt, der sich vor Ort selbst ein Bild macht. Das hat aber einige Referendarkollegen nicht gehindert, mich ob meines Reisezieles trotzdem zu kritisieren.

Mich hat es nicht abgehalten, und ich möchte meine aufregende Zeit und die Arbeit dort keinesfalls missen. Das rassistische Regime war faktisch schon leicht in Auflösung begriffen. Obwohl der Group Areas Act, der das freie Siedeln der schwarzen Bevölkerung verbot und sie somit in die Townships zwang, sich noch in Kraft befand, war Hillbrow, der Stadtteil in dem mein Appartement lag, nicht nur tagsüber bereits überwiegend in schwarzer Hand. In der Innenstadt von Johannesburg spürte man fast nicht, daß Rassentrennung herrschte und direkt vor meinem Bureau zogen die ersten schwarzen Massendemonstrationen friedlich vorbei, die zwar nicht angemeldet waren, die man trotz berechtigter Bedenken aber gleichwohl glücklicherweise gewähren ließ. Es war eine genauso bange wie aufregende Umbruchzeit, der Wahlkampf – „one man, one vote“ – tobte und vieles war im Fluß. Die Menschen aller Hautfarben mischten sich und gingen mehrheitlich friedlich und freundlich miteinander um; in Wahrheit war es aber wohl eher ein Pulverfaß, das jederzeit hätte explodieren können, was wieder einmal beweist, das manches aus der Entfernung viel klarer erkennbar ist und vor Ort gar nicht so schlimm erscheint.

Natürlich war die häßliche Fratze des Rassismus noch überall sichtbar. Und – wie so oft im Leben – gerierten sich häufig die heruntergekommensten Weißen am rassistischsten. Nie werde ich vergessen, wie am ersten Abend im 24-Stunden-Supermarkt ein weißer „Penner“ die schwarze Kassiererin warum auch immer auf das Übelste brüllend niedermachte und beleidigte. Nachdem ich spontan und ohne groß nachzudenken lautstark die weiße Kreatur zur Ordnung gerufen und mich schützend vor die junge Frau an der Kasse gestellt hatte, vollzog sich für mich ein Schlüsselerlebnis. Die unschöne Situation war zwar geklärt, keiner wagte mich anzugreifen, ansonsten hatte ich aber eine totale Verwirrung angerichtet. Die Umstehenden aller Hautfarben schauten betreten weg und wollten nichts mit der Sache zu tun haben. Eine dicke, schwarze Mama mußte sich vor lauter Aufregung umgehend unter Heben der Röcke im Rinnstein vor dem Eingang erleichtern, und der ungepflegte weiße Mann verstand die Welt nicht mehr, hatte sich doch ein Rassenbruder gegen ihn gewandt. Die Kassenkraft wußte ebenfalls in keinster Weise mit dem Vorgang etwas anzufangen, hatte sie so etwas vielleicht auch erstmalig erlebt; sie konnte sich nicht sichtbar freuen, geschweige denn ausdrücklich bedanken. Ihr hatte es die Sprache verschlagen, in ihren Augen meine ich aber, Dankbarkeit gesehen zu haben.

Eine kleine Anekdote nur, genauso wie der Einstieg in den falschen Bus, der, wie sich dann herausstellte, nur für Schwarze war. Auch die gehobenen, gutsituierten weißen Konservativen, die ohne Selbstzweifel auf ihren Herrenrassenstatus pochten und eine vollkommene Gegenargumentsresistenz offenbarten, habe ich kennen und verachten gelernt. Es gab auch schon ein paar erfolgreiche Schwarze, die wiederum mit dem Problem zu kämpfen hatten, von ihren eigenen Leuten als verkappte Weiße gescholten und ausgestoßen zu werden. In viel höherer Zahl aber bin ich auf liberalere Menschen gestoßen, die genau wußten, daß es mit der menschenverachtenden – inzwischen völkerrechtlich als Verbrechen definierten – Apartheid nicht weitergehen konnte, und die im Rahmen ihrer Möglichkeiten in ihrem Umfeld schon einen deutlich anderen Umgang pflegten. Und dann waren da noch die immer gelassenen, fröhlichen Schwarzen, die in beeindruckender und vorbildhafter Weise den Widrigkeiten trotzten. Welch‘ Gegensatz zu den bei allem Wohlstandes und aller Sicherheit oft griesgrämigen Deutschen!

Was aber die ehemals imperialistischen Weißen genauso wie die sogenannten Coloureds und die Schwarzen einte, war eine tiefe und unverbrüchliche Liebe für und Sorge um „ihr“ wunderschönes Südafrika. Und alle hatten berechtigterweise Angst vor dem, was kommen würde.

Nicht von ungefähr also hat dann der liberale Frederik Willem de Klerk die Wahl gewonnen und Botha aus dem Amt verdrängt. Dabei war de Klerk zu Beginn keineswegs ein strikter Apartheidsgegner. Danach entwickelte sich aber eine Eigendynamik, der er sich zum Glück nicht verschloß, so daß bereits 1990 Mandela aus der Haft entlassen, wodurch sicher durchaus drohende Bürgerkriegszustände verhindert wurden. Und es war keineswegs eine falsche Entscheidung, daß beide, Mandela und de Klerk, 1993 für ihr Wirken den Friedensnobelpreis erhalten haben.

Trotz großer zwischenzeitlicher Schwierigkeiten hat das Land sich zurückgekämpft, vieles zum Besseren gewendet und Johannesburg, das jahrelang in der Innenstadt verwaiste und verfiel, ist wieder eine pulsierendere Metropole, die kreative junge Menschen aus aller Welt begeistert und anzieht, auch wenn noch lange nicht alles Gold ist, was glänzt. Schön, daß das so ist, und es stellt ein Vorbild für die heutige unfreie Welt genauso dar wie zum Beispiel für Deutschland, das zur Zeit unerfreulicherweise zum Teil mit fremden Kulturen hadert. Es hat mich gefreut, durch den Gedenktag wieder einmal an meine damalige Zeit im Umbruch und an die große Persönlichkeit von Nelson Mandela erinnert zu werden, und es war mir ein Anliegen, dabei auch auf die Rolle de Klerk’s hinzuweisen. Vivat, Südafrika! Jederzeit gerne käme ich wieder zu einem Besuch.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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