In NRW sind schon wieder Herbstferien, obwohl die Sommerferien gefühlt gerade erst vorbei sind. Auch wenn das nur für Eltern mit schulpflichtigen Kindern von Relevanz ist, bringt es mich zu Überlegungen im Zusammenhang mit Urlaub.
Mit zunehmendem Alter überdenke ich nämlich meine Einstellung zum Reisen. Dabei spielt mein aktueller Status als Single, genauer die Tatsache, daß ich keine Übung im Alleinreisen habe, eine eher untergeordnete Rolle. Vielmehr stellt sich mir die generelle Frage, ob und wann man tatsächlich urlaubsreif ist und was man wirklich noch sehen und erleben will oder muß.
Wenn ich von Urlaub spreche, meine ich in jedem Falle die aktive Variante entweder sportlich mit Skifahren, Wandern etc. oder das Erkunden ferner Lande, wobei beides nicht in Streß ausarten sollte. Das Verharren an einem Fleck ist meine Sache nicht, da fehlt mir der Unterschied zum Zuhause. Wenn, dann möchte ich also reisen, was der Wahrig mit „fremde Orte besuchen“ und „in der Welt umherfahren“ umschreibt. Dem Reisen ist demnach auch die permanente Bewegung immanent. Wer den Flieger zu einer ferne Hotelanlage besteigt, reist nicht, er macht lediglich Urlaub – Wahrig definiert diesen als „Erlaubnis, vom Dienst fernzubleiben“ – an einem anderen Ort.
Die Frage nach der Urlaubsreife stellt sich mir nur im Sinne einer Erholungsnotwendigkeit, was aber das durchaus auch manchmal beschwerliche Reisen schon hierfür ungeeignet zur Zweckerfüllung macht. So erklären sich vielleicht die frühen Familienurlaube an der See, die wahrlich – für mich zum Teil bis zur Langweiligkeit – erholsam und durchaus sinnvoll und zuweilen eventuell sogar notwendig waren, um der Familie ihren ausreichenden Raum zu geben. Wenn man aber betrachtet, wie viele Menschen regelmäßig während ihres Urlaubes im eigentlichen Sinne reisen, weiß man wie wenige der Urlauber entgegen ihrer häufig gegenteiligen Bekundungen tatsächlich erholungsbedürftig sind. Urlaubsreif ist demnach kein besonders beachtenswertes Kriterium.
Entscheidener ist also die Frage, was unbedingt noch sein soll. Wenn man das Glück hatte, in jüngeren Jahren – daß die Jugend reist und reisen soll, steht deshalb selbstredend nicht zur Diskussion – einiges von der Welt zu sehen, wird es mit der Postulierung objektiver Notwendigkeiten eng. Denn Wiederholungen sind selten mit dem Original vergleichbar. Strenggenommen fehlt mir persönlich daher außer einer Rundreise mit dem Roadster, den ich lange Zeit nicht hatte, durch Schottland nichts, wenn man von der Lust am Schwimmen im Meer, für deren Erfüllung ich jedenfalls noch hin und wieder reisen muß, und dem neu erwachsenen Wunsch, zum Beispiel einmal auf dem Golfplatz in Étretat eine Runde zu drehen, einmal absieht. Auch nach sportlichen Höchstleistungen drängt es mich nicht mehr. So mancher Gipfel wurde doch bestiegen, es gibt also genügend gute Erlebnisse und Erinnerungen, aber die Träume und Wünsche zum Beispiel einer Kilmandscharo-Bezwingung oder Mountainbike-Alpenüberquerung können gerne unerfüllt bleiben. Alles hat seine Zeit, und wenn die vorüber ist, sollte man nichts mehr zwingen. Man hatte die Chance und hat sie nicht genutzt. Basta! Nichts ist doch lächerlicher als die rasende Rentnergang, die immer noch Dinge tut, die manch‘ Jüngerer sich nicht zutrauen würde. Als wenn man alles – hier wirkt offenbar auch ein profanes Abhakdenken – in seinem kurzen Leben erleben könnte und müßte! Der Reichtum eines Daseins hängt definitiv nicht von der Summe seiner extraordinären Erlebnisse ab. Und die Welt verstehen(s. auch Kolumne vom 31.08.2015) die meisten davon auch nicht besser, geschweige denn, daß es allgemein oder sogar abschließend sinngebend wäre. Reisen – man denke nur an Kant – muß also nicht unbedingt sein.
Was bleibt dann noch? Ach ja, den Tapetenwechsel habe ich ganz vergessen. In den eigenen vier Wänden ist er meines Erachtens unsinnig und überflüssig; die schönsten Tapeten, sprich Dekore sind doch ohnehin Bilder, Bücher, etc. und die ändern sich normalerweise im Laufe des Lebens immer mal wieder. Also reden wir von fremden Tapeten, für die, will ich ihrer ansichtig werden, ich mein Heim verlassen muß. Das tut jeder beruflich und privat nahezu täglich. Nur für den Anblick wechselnder Wandbespannungen, brauche ich also ebenso nicht zu reisen. Denn in dieser Hinsicht stellt jeder Konzert-, Museums- oder Restaurantbesuch, jeder Gang in die Stadt, jede Visite bei Freunden, jede Stunde auf dem Golfplatz, jede Radtour und jede Wanderung für sich genommen einen Tapetenwechsel, nach allgemeiner Lesart demnach sogar schon so etwas wie Urlaub, also Erholung dar. Und letztere empfindet man tatsächlich häufig selbst bei kürzeren Aushäusigkeiten.
Jeder Abstand vom Alltag ist entsprechend schon ein kleiner Urlaub. Wenn man zusätzlich noch ein bißchen reist, dürften die diesbezüglichen Bedürfnisse ganz einfach und ausreichend erfüllt sein. Das Alter führt – zumindest bei mir und ohne daß ich das will oder besonders betreibe – interessanterweise zu Bescheidenheit fern jeder Frugalität und Endzeitstimmung. Richtig verstanden kann das Altern also durchaus beglückend und viel entspannter sein. In diesem Sinne
schöne Ferien und gute Nacht!
Ihr/Euer Wolf