wolfsgeheul.eu vom 21.04.2016

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Freiberufler sind in mancherlei Hinsicht zu beneiden, zum Beispiel weil sie – wie ich – heute den vorerst letzten schönen Tag nutzen und bei strahlendem Wetter eine gepflegte Golfrunde einlegen konnten. Da nimmt man das Nachsitzen am Abend liebendgern in Kauf und arbeitet umso freudiger. Ähnliche Vorzüge genießen Lehrer. Und so traf es sich, daß ein Berufsschullehrer(Betriebswirt) mit mir gemeinsam dieses doppelte – freie Zeit und Golfsport – Privileg genoß und sich gleichermaßen am Wetter und den herrlichen Aussichten erfreute. Dazu gab es sehr gute Gespräche, zum nahezu vollkommenen Glück einmal wieder über fast alles andere als das edle Bällchenschlagen. Viele interessante Themen – Kapitalismus, Kommunismus, Grundrente, Grundeinkommen, Vermögensverteilung, Spekulationsgewinne, Finanzströme etc. – wurden angeschnitten und erste Differenzen und gleichartige Auffassungen herausgearbeitet. Bei hoffentlich sich ergebenden weiteren Runden werde ich noch vieles mir Unbekannte erfahren und vielleicht fundierter darüber schreiben können. Ach, gäbe es doch mehr solcher Begegnungen! Davon kann man nicht genug bekommen. Die Menschen reden zuwenig miteinander, und wenn sie es tun, geht es zu oft um belangloses, dummes Zeug. Der Geist will aber permanent geschärft werden, soll er sein Niveau halten oder sich gar noch entwickeln.

Die Thematik der zunehmenden Ungleichheit zwischen Armen und Reichen bringt mich – glücklicherweise, weil es auch Zeit spart, die ich vorher vorsätzlich anderweitig vertan habe, – auf Christian Fürchtegott Gellert, der in der Zeit von 1729 bis 1734 an der Fürstenschule St. Afra zu Meißen — heute – auch das ist Sachsen dank Biedenkopf – ein vorbildliches staatliches Hochbegabtengymnasium — als Schüler weilte und dort folgendes Gedicht schrieb:

 

„Das Kutschpferd

Ein Kutschpferd sah den Gaul den Pflug im Acker ziehn
und wieherte mit Stolz auf ihn hin.
Wann, sprach es, und fing an, die Schenkel schön zu heben,
wann kannst du dir ein solches Ansehn geben?
Und wann bewundert dich die Welt?
Schweig, rief der Gaul, und laß mich ruhig pflügen!
Denn baute nicht mein Fleiß das Feld,
wo würdest du den Hafer kriegen,
der deiner Schenkel Stolz erhält?

Die ihr die Niedern so verachtet,
vornehme Müßgiggänger, wißt,
daß selbst der Stolz, mit dem ihr sie betrachtet,
daß euer Vorzug selbst, aus dem ihr sie verachtet,
auf ihren Fleiß gegründet ist.
Ist der, der sich und euch durch seine Händ ernährt,
nichts Bess´res als Verachtung wert?

Gesetzt, du hättest bess´re Sitten:
so ist der Vorzug doch nicht dein.
Denn stammtest du aus ihren Hütten,
so hättest du auch ihre Sitten;
und was du bist und mehr, das würden sie auch sein,
wenn sie wie du erzogen wären.
Dich kann die Welt sehr leicht, ihn aber nicht entbehren.“

Vielleicht sollten darüber manche einmal nachdenken, erst recht das teilweise arrogante Golferpack!? Meinem heutigen Partner wird es sicher gefallen.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

 

 

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wolfsgeheul.eu vom 31.03.2015

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Anläßlich einer dienstlichen und privaten Reise über Frankfurt a. M., Chemnitz, Dresden und Cottbus hatte ich heute die Freude, einen Termin am Landgericht Cottbus wahrzunehmen. Kurz zuvor hatte ich irgendwo ein Bild der neuen Universitätsbibliothek in Cottbus gesehen und mir vorgenommen, wenn es der zeitliche Ablauf erlauben sollte, dieser einen Besuch abzustatten. Das Zeitfenster hat sich ergeben, und ich muß sagen, ich war begeistert und ein wenig peinlich berührt. Schon vor mehr als zehn Jahren nämlich – ich hätte also schon viel früher Kenntnis davon nehmen und anläßlich anderer Termine einen Besuch dort abstatten können – nach einem Entwurf von Herzog & de Meuron errichtet, steht der Doppelglaskörper mit seinen Rundungen wie eine uneinnehmbare Burg auf einer künstlichen Minianhöhe im ansonsten platten Land, auf dem Cottbus sich ausbreitet. Die vorgehängte Fassade aus Glasscheiben ist über und über mit kryptischen, matten, ineinander verwobenen  Zeichen beätzt, innen domieren an Boden und Wänden giftiges Grün und Hellviolett, eine ruhig-verwegene Wendeltreppe, moderne Möbel u. a. von Eames, Leseräume zum Teil über zwei Etagen hoch mit zeitgemäßen Lüsterinterpretationen, kurzum ein Festschmaus für die Sinne, immer durch die bodentiefe Verglasung in gedämpftem direktem Kontakt mit dem Außen. Was für grandiose Arbeitsbedingungen!

Dererlei Beispiele großartiger, geglückter Architektur gibt es naturgemäß – nach der Wende war der Bedarf an Veränderung, Erweiterung und Neubau hoch – sehr viele in Ostdeutschland! Denkt man nur an das St. Benno-Gymnasium von Behnisch in Dresden, das staatliche Gymnasium für Hochbegabte St. Afra in Meißen von Friedrich und Partner oder das Musikgymnasium Schloss Belvedere in Weimar von den Kölner Architekten van den Valentyn und Oreyzi. Traumhafte Lern- und Lehrverhältnisse mit großer Funktionalität und Variabilität bei gleichzeitiger Erfüllung hoher Anspüche an ästhetischen Genuß und Einpassung in das Umfeld, welches Rückzugsräume genauso wie Foren bietet und dabei zu freudvollem Dialog und Disput einlädt.

Wissen das die Belehrten und Lehrenden eigentlich zu schätzen? Denn vordergründig sind diese Gebäude ja für sie geschaffen und nicht für den reisenden Architekturfreund. Hieran habe ich manchmal meine Zweifel. Könnte man also sagen, es reichte auch der profane Zweckbau für die Masse der Uninteressierten? Niemals! Erstens werden solche Räume niemanden gänzlich kalt lassen und zweitens reicht es, wenn sich einige durch sie besonders inspirieren lassen. Von der Bereicherung das Stadtbildes einmal ganz zu schweigen! Der Beantwortung der Frage also, ob die Cottbusser Studiosi beglückt sind, ihren Lesehunger in einem lebendigen Vorläufer der Elbphilharmonie stillen zu dürfen, ist meines Erachtens obsolet. Der Genuß kommt hoffentlich beim Essen.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

P.S.: Der neue EZB-Doppelturm in Ffm.  von Coop Himmelb(l)au ist auch eine Reise wert!

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