wolfsgeheul.eu vom 06.10.2015

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In NRW sind schon wieder Herbstferien, obwohl die Sommerferien gefühlt gerade erst vorbei sind. Auch wenn das nur für Eltern mit schulpflichtigen Kindern von Relevanz ist, bringt es mich zu Überlegungen im Zusammenhang mit Urlaub.

Mit zunehmendem Alter überdenke ich nämlich meine Einstellung zum Reisen. Dabei spielt mein aktueller Status als Single, genauer die Tatsache, daß ich keine Übung im Alleinreisen habe, eine eher untergeordnete Rolle. Vielmehr stellt sich mir die generelle Frage, ob und wann man tatsächlich urlaubsreif ist und was man wirklich noch sehen und erleben will oder muß.

Wenn ich von Urlaub spreche, meine ich in jedem Falle die aktive Variante entweder sportlich mit Skifahren, Wandern etc. oder das Erkunden ferner Lande, wobei beides nicht in Streß ausarten sollte. Das Verharren an einem Fleck ist meine Sache nicht, da fehlt mir der Unterschied zum Zuhause. Wenn, dann möchte ich also reisen, was der Wahrig mit „fremde Orte besuchen“ und „in der Welt umherfahren“ umschreibt. Dem Reisen ist demnach auch die permanente Bewegung immanent. Wer den Flieger zu einer ferne Hotelanlage besteigt, reist nicht, er macht lediglich Urlaub – Wahrig definiert diesen als „Erlaubnis, vom Dienst fernzubleiben“ – an einem anderen Ort.

Die Frage nach der Urlaubsreife stellt sich mir nur im Sinne einer Erholungsnotwendigkeit, was aber das durchaus auch manchmal beschwerliche Reisen schon hierfür ungeeignet zur Zweckerfüllung macht. So erklären sich vielleicht die frühen Familienurlaube an der See, die wahrlich – für mich zum Teil bis zur Langweiligkeit – erholsam und durchaus sinnvoll und zuweilen eventuell sogar notwendig waren, um der Familie ihren ausreichenden Raum zu geben. Wenn man aber betrachtet, wie viele Menschen regelmäßig während ihres Urlaubes im eigentlichen Sinne reisen, weiß man wie wenige der Urlauber entgegen ihrer häufig gegenteiligen Bekundungen tatsächlich erholungsbedürftig sind. Urlaubsreif ist demnach kein besonders beachtenswertes Kriterium.

Entscheidener ist also die Frage, was unbedingt noch sein soll. Wenn man das Glück hatte, in jüngeren Jahren – daß die Jugend reist und reisen soll, steht deshalb selbstredend nicht zur Diskussion – einiges von der Welt zu sehen, wird es mit der Postulierung objektiver Notwendigkeiten eng. Denn Wiederholungen sind selten mit dem Original vergleichbar. Strenggenommen fehlt mir persönlich daher außer einer Rundreise mit dem Roadster, den ich lange Zeit nicht hatte, durch Schottland nichts, wenn man von der Lust am Schwimmen im Meer, für deren Erfüllung ich jedenfalls noch hin und wieder reisen muß, und dem neu erwachsenen Wunsch, zum Beispiel einmal auf dem Golfplatz in Étretat eine Runde zu drehen, einmal absieht. Auch nach sportlichen Höchstleistungen drängt es mich nicht mehr. So mancher Gipfel wurde doch bestiegen, es gibt also genügend gute Erlebnisse und Erinnerungen, aber die Träume und Wünsche zum Beispiel einer Kilmandscharo-Bezwingung oder Mountainbike-Alpenüberquerung können gerne unerfüllt bleiben. Alles hat seine Zeit, und wenn die vorüber ist, sollte man nichts mehr zwingen. Man hatte die Chance und hat sie nicht genutzt. Basta! Nichts ist doch lächerlicher als die rasende Rentnergang, die immer noch Dinge tut, die manch‘ Jüngerer sich nicht zutrauen würde. Als wenn man alles – hier wirkt offenbar auch ein profanes Abhakdenken – in seinem kurzen Leben erleben könnte und müßte! Der Reichtum eines Daseins hängt definitiv nicht von der Summe seiner extraordinären Erlebnisse ab. Und die Welt verstehen(s. auch Kolumne vom 31.08.2015) die meisten davon auch nicht besser, geschweige denn, daß es allgemein oder sogar abschließend sinngebend wäre. Reisen – man denke nur an Kant – muß also nicht unbedingt sein.

Was bleibt dann noch? Ach ja, den Tapetenwechsel habe ich ganz vergessen. In den eigenen vier Wänden ist er meines Erachtens unsinnig und überflüssig; die schönsten Tapeten, sprich Dekore sind doch ohnehin Bilder, Bücher, etc. und die ändern sich normalerweise im Laufe des Lebens immer mal wieder. Also reden wir von fremden Tapeten, für die, will ich ihrer ansichtig werden, ich mein Heim verlassen muß. Das tut jeder beruflich und privat nahezu täglich. Nur für den Anblick wechselnder Wandbespannungen, brauche ich also ebenso nicht zu reisen. Denn in dieser Hinsicht stellt jeder Konzert-, Museums- oder Restaurantbesuch, jeder Gang in die Stadt, jede Visite bei Freunden, jede Stunde auf dem Golfplatz, jede Radtour und jede Wanderung für sich genommen einen Tapetenwechsel, nach allgemeiner Lesart demnach sogar schon so etwas wie Urlaub, also Erholung dar. Und letztere empfindet man tatsächlich häufig selbst bei kürzeren Aushäusigkeiten.

Jeder Abstand vom Alltag ist entsprechend schon ein kleiner Urlaub. Wenn man zusätzlich noch ein bißchen reist, dürften die diesbezüglichen Bedürfnisse ganz einfach und ausreichend erfüllt sein. Das Alter führt – zumindest bei mir und ohne daß ich das will oder besonders betreibe – interessanterweise zu Bescheidenheit fern jeder Frugalität und Endzeitstimmung. Richtig verstanden kann das Altern also durchaus beglückend und viel entspannter sein. In diesem Sinne

schöne Ferien und gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 31.08.2015

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Die Deutschen waren einmal Reiseweltmeister und sind, auch wenn sie inzwischen wohl von den Chinesen abgelöst wurden, noch immer überdurchschnittlich unterwegs. Das gilt vor allem für die neuen Bundesbürger, die nach der Wende in Windeseile alles bereist haben, auch weil sie fälschlicherweise glaubten, sie holten damit im wesentlichen nur einen Rückstand gegenüber den Altbundesbürgern, denen ja im kapitalistischen Paradies die gebratenen Tauben nur so in den Mund geflogen sind, auf. Und was hat das außer Ehekrach, Sonnenbrand und Magenverstimmung eingebracht?

Von Oscar Wilde soll das Zitat stammen: „Reisen veredelt den Geist und räumt mit allen unseren Vorurteilen auf.“. Da ist dann wohl bei den Ostdeutschen etwas dramatisch schiefgelaufen. Wie ist das zu erklären?

Des Rätsels Lösung liegt auf der Hand, wenn man sich einmal genauer anschaut, was der moderne Mitteleuropäer, an dem sich die befreiten Deutschen natürlich orientiert haben, eigentlich unter Reisen versteht. Es überwiegt der Pauschaltourist, am liebsten all-inclusive in einer Ferienanlage. Also ab in den fliegenden Omnibus und irgendwohin! Die Qualität des Urlaubs bemißt sich nach dem Wetter, dem Essen und der Sauberkeit. Wenn man einmal vom Klima absieht, ist es eigentlich vollkommen irrelevant, wohin man reist, da selbst das anrainende Meer wenig bis gar keine Beachtung findet, wo man doch eine so schöne Poollandschaft zur Verfügung hat. Der beste Beweis ist das boomende Kreuzfahrtgeschäft, bei dem viele sogar auf Landausflüge verzichten; strenggenommen müßte das Schiff sich für einen Großteil der Passagiere wahrscheinlich noch nicht einmal bewegen, es reichte auch eine lebensnahe Meeresprojektion gewürzt mit Wellen- und Motorengeräuschen auf die Wände eines den Dampfer umgebenden Trockendockes. Damit ähnelt bis auf die pausierende Arbeit das Leben im Urlaub dem alltäglichen. Man bewegt sich zwischen Shopping-Mal, Erlebnisbad, Kino, Fitnessstudio, Musical und All-You-Can-Eat-Freßtempeln. Landestypisches Essen wird, wenn überhaupt, nur in abgemilderter, für Europäer verträglicher Form konsumiert und Einheimische begegnen dem Reisenden einzig als dienstbare Geister.

Tja, Herr Wilde, da haben sie wohl die Rechnung ohne den neuzeitlichen Wirt gemacht. Wer sein bestes Wiener Schnitzel im Robinson-Club in Mexiko gegessen hat, kommt kaum veredelt retour, geschweige denn als Vorurteilsgeläuteter. „Nett ist er ja der Grieche, aber das Arbeiten hat er nicht erfunden.“. „Die Schwarzen sind zwar fröhlich, aber den Dreck in den Ecken sehen die nicht.“.  „Die Brasilianerin hat wohl einen süßen Po, aber nichts in der Birne.“. „In fernen Ländern wollen sie dich doch nur betrügen oder beklauen.“. Jo, da sind wir doch froh, wenn die Clubanlage von einem hohen Zaun umgeben ist.

Die positiven Effekte des Reisens sind also nahezu vollständig am Ostdeutschen vorübergegangen, und weil es fast alle so machen, ist ihm dafür noch nicht einmal wirklich die Schuld zu geben. Der Sichtkreis hat sich damit aber leider nicht oder nur unwesentlich erweitert. Und so bleiben dann auch die Vietnamesen, die jahrzehntelang als Gastarbeiter in der DDR geschuftet haben, dafür aber nicht integriert, sondern ghettoisiert wurden, bis heute im Sprachgebrauch Ostdeutschlands die „Fidschis“. Reisen bildet eben nicht immer.

„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut,“! Von „veredeln“ hat Goethe nicht gesprochen. Na, liebe Landsleute, dann werdet erst einmal diesem Anspruch gerecht!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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