wolfsgeheul.eu vom 08.09.2015

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Was für eine Aufregung um ein Bild!

Ein Teil der Presse hat sich in den letzten Tagen gegenseitig mit moralinsauren Kommentaren und Aktionen im Gutmenschsein übertroffen. Es geht um das Photo eines toten syrischen Jungen, der an einen türkischen Strand gespült wurde. Die FAZ, aber auch z. B. die Freie Presse begründeten wortreich, warum sie dieses Bild nicht abgedruckt haben, während andere, auch die internationale Konkurrenz damit eher kein Problem hatten respektive den Abdruck umfangreich rechtfertigten. Den krönenden Abschluß setzte die Bild-Zeitung, die auf ihrer Online-Ausgabe für eine gewisse Zeit alle Photos wegließ, um aus ihrer Sicht zu beweisen, wie wichtig die Bildinformation ist, um einen Sachverhalt zu erfassen.

Mit letzterem hat die Bild-Zeitung in Bezug auf sich selbst natürlich recht; sie widerspräche ohne Photos schon ihrem Titel, und angesichts ihrer zum Teil kargen und schlichten Wortinformationen ließe sich manches sonst auch kaum umfassend verstehen. Von den nackten Mädchen ganz zu schweigen, die sich nur über die Abbildung erschließen und nicht über ihre ansonsten nicht vorhandenen Eigenschaften, die ihnen angedichtet werden.

Keiner aber stellte die in meinen Augen wichtigste Frage. Mußte diese Photographie überhaupt entstehen?

Der todesmütige Kameraakrobat hat eine in absoluter Ruhe befindliche Leiche abgelichtet. Tut man das? Meiner Meinung nach nicht! Es gilt doch auch der allgemeine und richtige Komment, daß Opfer eines Unfalls im Straßenverkehr oder einer Straftat nicht beziehungsweise wenigstens nicht ohne ein Leichentuch auf Zelluloid gebannt werden. Vorliegend handelt es sich um das Opfer eines Schiffsunglückes. Daß es das Kind einer Flüchtlingsfamilie war, das von kriminellen Schleusern, aber auch – was leider ebenfalls total vergessen wird – von den eigenen Eltern in unverantwortlicher Weise in Gefahr gebracht worden ist und darin umkam, ändert hieran nicht im geringsten etwas. Im übrigen ergeben sich alle diese Aspekte nicht aus dem Bild an sich, sondern nur aus seiner Erläuterung. Damit ist es obendrein ein vollkommen nichtssagendes Bild.

Die einzig richtige Reaktion aller seriösen Presseorgane hätte also sein müssen, den Abdruck des Bildes gar nicht erst in Erwägung zu ziehen. Und wenn man etwas nicht veröffentlicht, muß man auch nicht stattdessen begründen, warum man es nicht tut. Richtig gemacht haben es in meinen Augen nur die, die nicht das Bild der Jungen-Leiche, sondern das Bild des italienischen Polizisten abgedruckt haben, der den Toten auf den Armen den Strand hochträgt. Dieses Bild spricht zu uns und deutet in einem kleinen Ausschnitt das Ausmaß der Katastrophe, nicht nur auf der Seite der Opfer, sondern auch auf der Seite der Ersthelfer, an.

Und der Abdruck des inkriminierten Bildes wäre nur notwendig und gefordert gewesen, hätte man den Photographen einer Pietätslosigkeit zeihen wollen. Diesen Aspekt aber hat offenbar und in unverzeihlicher Weise niemand bisher gesehen. Das wäre einer anständigen Aufregung wert gewesen.

Und die Moral von der Geschicht‘?

Im Zuge unserer neuen, anfallartigen, oft geheuchelten und zumeist kurzlebigen Betroffenheitskultur, bei der jeder, der dazugehören will, spontan, also ohne viel nachzudenken mitmachen muß, um nicht zu spät zu sein, versperren die in Krokodilstränen ertrinkenden Augen und ein emotionsverblendetes Hirn den Blick und die Gedanken auf das Wesentliche.

Es ist schade und nicht zu begreifen, daß dieser partielle Verlust an Vernunft und Überblick auch einer guten Zeitung wie der FAZ unterläuft.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 01.07.1960

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Vor 55 Jahren wurde ich  im schönen Düsseldorf geboren, hinein in die Hochzeit des Wirtschaftswunders und vor allem des Friedens in Europa, der – inzwischen haben wir beglückenderweise selbst Kinder – bis heute hier für uns alle währt. Das ist aber, horribile dictu, nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Deswegen können Firmen wie Rheinmetall und Heckler&Koch, wenn überhaupt, nur Krokodilstränen weinen, zahlen sie doch auf dem Rücken der mit ihren Waffen Getöteten der Welt ordentlich Steuern, sichern Arbeitsplätze und können ob ihrer Gewinne frohlocken.

Der größte Irrtum unserer bigotten Gesellschaften ist es also, auch nur im Ansatz von „Friedenszeiten“ zu sprechen. Nach dem Korea- und dem Vietnamkrieg, zusammen mit mutmaßlich mehr als sechs Millionen Toten wähnte man sich in Sicherheit, und die Kubakrise hat man kindlich verschlafen oder gar noch auf sie geschissen. Falkland, Golf, Irak, Afghanistan alles weit weg, selbst Bosnien, obwohl gefährlich nah, ist an uns weitestgehend schadlos vorbeigegangen, wenngleich in letzter Zeit als Novum auch wieder deutsche Soldaten leider auch wieder in Kriegen und nicht nur besoffen vom Panzer fallen. Nicht wissenschaftlich aber gleichwohl sicher so falsch nicht listet Wikipedia – einem Almanach der Lebensjahre gleichend, der es einem nach proustscher Manier durchaus ermöglicht, die eigene Vita nachzuvollziehen – ab 1960 über einhundert (Bürger-)Kriege und bewaffnete Konflikte auf; die Opferzahlen liegen wohl sicher im zweistelligen Millionen-Bereich. Dabei muß man Nachbarschaftsstreitigkeiten bzw. Religionskonflikte von solchen kriegerischen Auseinandersetztungen scheiden, bei denen die waffenliefernden Nationen aktiv oder, wie gerne und zumeist, passiv eigentlich eigene Interessen, meist Rohstoffe betreffend, verfolgen. So oder so sind wir aber überwiegend involviert.

Wenn Europa die restliche Welt nur mit Lebens- und Fortbewegungsmitteln sowie sonstig zivilen Gütern beliefern würde, könnten wir uns zurücklehnen und die lange Friedensphase bei uns feiern. Stattdessen liefern wir unendlich viele Waffen und wissentlich Dinge, die zu solchen werden können und sollen, über den Erdenball, was nicht unwesentlich unseren Wohlstand und „Frieden“ sichert und ohne Ende todbringend ist. Sorry, Freunde, das ist nicht friedlich, das ist tatsächlich schändlich. Während wir es uns gut gehen lassen, testet man in der Welt unsere Waffen und bezahlt sogar dafür. Und dann kaufen wir dem IS auch noch Öl ab; eigentlich aber nur konsequente und „legitime“ Kick-Back-Zahlungen für gute Kunden und Waffentester auf fernem Terrain. Können sich CEO’s von Rüstungsfirmen, aber auch von LKW- und Chemieproduzenten, die sich vor geheuchelter Verwunderung kaum einkriegen können, daß ihre Produkte auch als Lafetten zu dienen oder chemische Waffen zu füllen vermögen, eigentlich morgens noch im Spiegel anschauen? Es steht zu befürchten, daß sie dazu in der Lage sind. Außerdem sind es ja sicherlich gute Familienväter und wohltätige Menschen, die, wenn sie lange genug warten und die richtigen Leute kennen, auch noch Verdienstkreuze einheimsen und stolz herumtragen dürfen. Am besten sind sie dann zusätzlich fleißige Kirchgänger, klar, denn der Vergebungsbedarf ist bei ihnen besonders hoch.

Realität ist also, daß die Welt auch seit 1960 sich quasi im Dauerkrieg befindet und die Industrienationen davon und auf dem Rücken der armen Betroffenen in fernen Landen teilweise vortrefflich leben. Nun gut, das war immer so und wird wahrscheinlich immer so bleiben. Der Mensch ist so und will es nicht anders. Aber hören wir auf, uns selbst zu beweihräuchern, und denken wir ab und an daran, wenn wir uns, obwohl selbst keine Waffenmagnaten, morgens rasieren. Wir sind ein Teil des ganzen und partizipieren davon. Unschuldig ist niemand.

Mein schönes und friedliches Leben bezahlen andere auf der Welt mit dem ihren. Daran etwas zu ändern, sollte uns, jeder an seinem Platze, Lebensaufgabe sein, wenngleich ich eingestehen will und muß, auch keine Patentlösung anbieten zu können. Wie wäre es aber zum Beispiel mit Regelungen, daß Waffen nur in Länder mit Verteidigungsarmeen und so starken Kontrollen exportiert werden dürfen, daß das Gelangen in schwarze Kanäle weitestgehend ausgeschlossen werden kann, bei gleichzeitiger scharfer Beobachtung, Isolierung und gegebenenfalls Sanktionierung derjenigen Staaten, die sich daran nicht halten, und der Staaten, die ihre eigenen Waffen produzieren, um Schändliches anzurichten? Den Einwand, das machten wir bereits so, lasse ich nicht gelten, da es für jedermann offensichtlich bisher nicht funktioniert. Also, auf, Sisyphos!

Wie gut, daß ich mir diese trübsinnigen Gedanken schon gestern vorab gemacht und mir damit nicht meinen Geburtstag versaut habe. Zum Wohle!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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