wolfsgeheul.eu vom 30.09.2015

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Mit großen Erwartungen bin ich vor fast fünf Jahren nach Aachen gezogen. Nirgendwo sonst in Deutschland liegt eine Stadt mit rund 250.000 Einwohnern so nah an zwei europäischen Grenzen, also zu Belgien und den Niederlanden. Die Euregio Maas-Rhein im Dreieck Aachen-Lüttich-Maastricht ist ein Schmelztiegel von Sprachen, Kultur und wissenschaftlicher Exzellenz, außerdem hat sie landschaftlich einiges zu bieten. Welch eine Chance, den europäischen Gedanken in Frieden, Freundschaft und intensivem Miteinander zu pflegen und damit die Grenzen endgültig zu überwinden, ohne dabei die landsmannschaftlichen und regionalen Besonderheiten und Unterschiede aufzugeben, die gerade den Reiz ausmachen.

Allein die Realität ist eine andere. Mein erster Irrtum war, daß ich dachte, der geborene Öcher(Aachener) ab Realschule sei praktisch viersprachig aufgewachsen und beherrsche zu seiner Muttersprache neben Englisch eben auch Französisch und Niederländisch. Weit gefehlt! Wie gut, daß die Limburger fast alle des Deutschen mächtig sind und ein kleiner Teil des anrainenden Belgien sogar deutschsprachig ist. Darüberhinaus wähnte ich mich in einer besonderen Gegend, in der die Grenzen verschwimmen und auf allen Ebenen nicht nur ein reger Gedankenaustausch existiert, sondern eine echte Kooperation zur Verfolgung gemeinsamer Ziele. Auch hier war ich zu optimistisch. Zwar fahren die Deutschen in die nahen Outlet-Center nach Belgien und Holland sowie natürlich auch nach Maastricht, und umgekehrt wird von Belgiern und Limburgern fleißig in Aachen geshopt, sogar in Supermärkten, wenn merkliche Preisunterschiede zum Heimatland locken. Aber bei der überall defizitären Kultur zum Beispiel macht überwiegend jeder seins. Und ansonsten herrscht die normale nachbarschaftliche Konkurrenz um den (zahlenden) Kunden.

Einen traurigen Höhepunkt stellt vorläufig die Entscheidung der RWTH Aachen dar, die romanistische Fakultät abzuwickeln und zu schließen. Wer gute Nachbarschaft mit dem französichsprachigen Belgien will, kann doch direkt hinter der Grenze – wo kann man Französich authentischer lernen!? – nicht damit aufhören, junge Menschen in dieser Sprache auszubilden. Die Entwicklung erinnert an die Diskussionen insbesondere in Baden-Württemberg anfang diesen Jahres wegen der Pläne Frankreichs, den Deutschunterricht an seinen Schulen einzukürzen oder ganz zu streichen. Da war Aufruhr bei uns.

Man muß wohl feststellen, daß es insgesamt mit dem vereinten Europa nicht so weit her ist. Augenfällig wird das gerade wieder auch bei der katastrophalen Uneinigkeit im Zusammenhang mit der durchaus dramatischen Flüchtlingsproblematik. Wenn es aber noch nicht einmal im kleinen funktioniert, wie soll es da bei den großen Fragen besser sein. Am Ende ist es nur ein Bund von traditionsreichen Einzelstaaten, die mehr ihre Partikularinteressen verfolgen, als an einem Strang zu ziehen.

Wenn Europa eine Zukunft haben will und soll, wird kein Weg daran vorbeigehen, ihm mehr Kompetenzen einzuräumen. Und solange gilt es, im kleinen Grenzverkehr mit gutem Beispiel voranzugehen. An mir soll es nicht liegen. Ich fühle mich pudelwohl, feiere Karneval, spiele in Belgien Golf, gehöre einem Maastrichter Lionsclub an, pflege regen Verkehr in beide Nachbarländer, genieße in Liège französisch anmutende Lebensart und lerne langsam aber stetig Niederländisch.

Die Euregio ist nicht tot, aber sie lebt auch nicht richtig. Die Vitalität zu fördern, ist unser aller Auftrag, im Interesse eines starken Europa und einer sicheren Zukunft.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 18.06.2015

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Morgen beginnen zum neunten Male die sogenannten „KurparkClassix“ in Aachen, eine Freiluftveranstaltung über vier Tage mit zwei klassischen Konzertabenden, von denen einer der Welt der Oper gewidmet ist, einem klassischen Kinderkonzert an einem Nachmittag und inzwischen sogar auch zwei Abendkonzerten mit Pop-und Chanson-Größen. Der Zuspruch ist konstant gut, und das ganze hat sich zu einem gesellschaftlichen Ereignis entwickelt, auch und gerade weil nur ein Bruchteil des Publikums auf einer Tribüne vor der riesigen Musikmuschel plaziert werden kann und die überwiegende Zahl der Besucher die Wiesen drumherum bevölkert und mit einem mitgebrachten Picknick den Abend zelebriert. Das ganze ist inzwischen ein Wettbewerb, bei dem die auffälligsten und schönsten Ensembles prämiert werden, so daß die Picknickdecke nur vom gemeinen Volk genutzt wird und viele andere mit großem Equipment und zum Teil verkleidet anreisen. Sogar Szene-Zahnärzte nutzen die Gelegenheit, um ihre Privatpatienten mit den teuren Kronen in eine separierte Zeltstadt mit umzäuntem Außengelände bei edlen Häppchen und Tröpfchen auf die Wiese zu bitten. Immerhin sollen die geladenen Edelmäuler für einen guten Zweck spenden, obwohl sie damit die ohnehin horrenden Zahnklempnerleistungen quasi doppelt überzahlen. Der Musikgenuß ist trotz immer wieder verbesserter Beschallungsanlage einzig auf der Tribüne so halbwegs – bei Musik im Freien muß man, erst recht bei Regen, immer Einbußen in Kauf nehmen – sein Geld wert, auf den anderen Plätzen überwiegt der Eventcharakter. Der Kunstkenner ist also eher rar gesät, aber es ist doch wunderbar, daß von guten Künstlern dargebotene Klassik so viele Menschen anzieht und begeistert. Für unter zwanzig Euro können auch Studenten sich einen Platz auf der Wiese aussuchen und einen unterhaltsamen Abend erleben.

Letztere könnten es aber noch billiger haben. Vor dem freitäglichen Eröffnungskonzert nämlich findet immer donnerstags eine große Probe statt, zu der man, ohne Eintritt berappen zu müssen, auf das Gelände gelangt und die gesamte Bandbreite der Veranstaltung, ohne die Unterhaltungsmusikstars allerdings, inklusive der kunstvollen Illumination erleben kann. Die Schlauen bringen übrigens trotzdem ihr Picknikkörbchen mit. Jetzt könnte man meinen, der Andrang auf diese Gratisveranstaltung sei riesengroß. Ganz das Gegenteil aber ist der Fall. Man findet sogar auf der nur wenig belegten Tribüne Platz und verliert sich dort als Insider weniger mit Externen als überwiegend mit Angehörigen und Freunden der Musiker. Insgesamt ist damit die Probe fast die schönste Möglichkeit der nahezu umfassenden Genußwahrnehmung.

Woran liegt es, daß das über Jahre ein Geheimtip bleiben kann? Normalerweise sprechen sich doch gerade bei der Jugend durch die neuen sozialen Medien Dinge in Windeseile herum. Geht es uns zu gut, sind wir zu satt, interessieren sich die jungen Leute nicht mehr für Klassik, selbst wenn sie nichts kostet? Offenbar ist das leider so! Und so werden wir heute abend wohl wieder mehr – uns eingeschlossen – ältere Schnorrer-Connaisseure treffen, während die Jugend für den abendlichen Spaß an anderer Stelle Geld ausgeben muß. Sollte diese Kolumne aber dazu führen, daß die Probe im nächsten Jahr von hoffentlich überwiegend jungen Menschen überlaufen wird, dann wäre es mir eine Freude, wenngleich ich mir dann den Gratisast, auf dem ich bisher so kommod sitzen konnte, selbst absägt hätte. Vielleicht aber sollte auch der Veranstalter überlegen, ob er nicht für den Probenbesuch zum Beispiel fünf Euro verlangt. Dann könnte er mit einer offiziellen Veranstaltung werben, gleichzeitig wahrheitsgemäß behaupten, der Musik-Marathon dauere fünf Tage, und die Mehreinnahme würde er sicher auch nicht verschmähen. Kreativität auf allen Seiten ist jedenfalls gefragt. Schau’n mer mal, wie es weitergeht!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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