Vor einiger Zeit wurde mir auf einer Vernissage ein Künstler vorgestellt, der für eine ganz pfiffige, ausladende multimediale Installation verantwortlich zeichnete, aber ansonsten eher für seine Lyrik bekannt sein sollte. Ein altes Versprechen einlösend dedizierte er in meinem Beisein einer Freundin von mir ein kleines Gedichtbändchen aus dem Selbstverlag, in das ich hineinblättern durfte, während der Autor mich auf meine Reaktion hin beobachte. Nicht hellauf begeistert gab ich es der Beschenkten zurück mit dem höflichen, leicht geheuchelten Bekunden, es mir später noch einmal in Ruhe ansehen zu wollen. Der Kommentar kam dann aber vom Lyriker selbst, der etwas herausfordernd und linkisch zugleich zu mir sagte „Das ist Romantik.“, was mir nicht entgangen war. Monate später las besagter Herr auf einem Hauskonzert in extenso aus seinen Werken, die angeblich irgendwie zum Thema des Abends passen sollten. Die Gedichte waren als mit der Brechstange zusammengestocherter Romantikvokabelsalat grausam, der Vortrag war schlecht, so daß auch er nichts retten konnte. Alles in allem eine Belästigung und unschöne Unterbrechung, die wir natürlich trotzdem brav beklatscht haben, der ansonsten herzerfrischenden und guten anderen Darbietungen. Gegenüber der Freundin, die auf der Ausstellung das Büchlein bekommen hatte, äußerte ich später meine Einschätzung, die im übrigen von allen Anwesenden, mit denen ich entre nous gesprochen habe, geteilt wurde, unverblümt, was diese sehr höfliche Frau als zu hart beurteilte und den Hobbydichter u. a. mit dem Argument verteidigte, man müsse es trotzdem erst einmal zustande bringen. Da war der Leu in mir geweckt und ich bot an, zu beweisen, daß man von so einem Mist in einer Viertelstunde locker zwei Gedichte produzieren könne, was sie als völlig unmöglich ansah. Den Beweis habe ich, den von mir selbst vorgegebenen Zeitrahmen nicht überschritten habend, wie folgt versucht anzutreten:
Zwei lyrische Schnellgerichte
von
Wolf M. Meyer
Flutasche
Der Regen schwemmt, sauer und schwer
Die vollgesogene Traurigkeit der Korkeiche hinfort
Und die Ebbe im Salztopf der Sanftmut
Ächzt in ihrem reduzierten Leib, so
Als hätten ihre Flügel einen Kater.
Nur langsam wächst das Sternenmeer
Wieder in alte Weiten, schwarz von der Asche
Der purpurspeienden Berge, als gäbe
Der Nebel dem Licht seinen Namen.
Der Tod grüßt von der Empore,
Während im Schiff die Seelen heillos flirren,
Ohne mit der Flut zu rechnen,
Die sie bald in die salzige Unendlichkeit
Wegreißen wird, erbarmungslos und kalt.
Friede ihrer Asche!
Zinnober im Oktober
Rot, voll des schwarzen Blutes
Ausgebrochen aus dem bedeutungsschwangeren Nichts
Der Weite bis zum gekurvten Horizont des Oktogons.
Alles schwelgt im müden Frevel
Der tollen Tage, die der Sommer gebar;
Die Mäuse huschen durch die Gänge,
Der Aal ist glatt wie ein Fanal.
Da rächt sich Leidenschaft und Lab
Und läßt die giftgefüllten Bäuche schwellen
Bis ein Knall die hohen Zinnen trifft ins Mark.
Gib den müden Augen ihren Schlaf –
Bald ist November, meine Herren Ober!
Die Freundin fand dann, das Spiel bis zum Schluß nicht verstehen wollend oder könnend, meine Werke auch nicht unbedingt besser als die des vermeintlichen Profis. Sollte sie auch nicht! Mein Sieg war es doch, daß sie trotz aller Versuche, ihren hilflosen Wortzauberer gut dastehen zu lassen, diesen nicht weit überlegen, sondern durchaus gleichwertig zu empfinden schien, obwohl der sich wichtig nimmt und bestimmt stundenlang gebiert und feilt, bis eine kleine Maus den Kreißsaal verlassen kann, während ich die Dinger tatsächlich in 15 Minuten ohne Anspruch runtergerotzt habe.
Zum Glück weiß ich jetzt aber auch, daß der Romantikkomiker im Hauptberuf gutverdiender Akademiker ist. Die Künstlersozialkasse muß also für ihn keine Rückstellungen bilden. Und irgendwie ist es doch immer gut, wenn Menschen mit ihrer Freizeit etwas anzufangen wissen, und sei es auch nur mit der Hilfe des alternativen Kurses „Dichten nach Zahlen“ „Folge XX“ „Romantik“.
Und, liebe Firma Maggi(s. Kolumne vom 05.06.2015), wenn ihr, um euren Ruf zu retten, den armen Indern vielleicht zukünftig lieber deutsche Instantgedichte aller Gattungen statt Schnellgerichte aller Geschmacksrichtungen servieren wollt, ich stehe Gewehr bei Fuß!
Gute Nacht!
Ihr/Euer Wolf