Früher war alles besser! Manchmal schon!
Sehr gerne habe ich in jüngeren Jahren Restaurantkritiken gelesen. Auch wenn ich mir ein Essen in den dort beschriebenen Lokalitäten zum Teil gar nicht hätte leisten können oder wollen, hat die Lektüre nicht nur die Sinne für die Kulinarik geschärft und damit die Bedeutung der Ernährung jenseits der profanen Nahrungsaufnahme hervorgehoben, sondern einfach auch Lesespaß bereitet. Da waren amüsante und oft humoritische Schreibkünstler wie Wolfram Siebeck am Werke, die es, ohne Schaum vor dem Mund zu haben oder von oben herab zu dozieren, vermochten, daß einem das Wasser im Munde zusammenlief und es einem ein amüsiertes Lächeln in die Mundwinkel schnitzte. Die Artikel waren im wahrsten Sinne ein amuse bouche! Selbst flapsige Kritik, wie von Armin Diel oder in den Anfängen vom Gault Millau praktiziert, hatte für sich genommen ihren Reiz, mochte sie noch so überzogen sein. Und daß Diel es – wenn ich mich recht erinnere – sogar geschafft hat, daß eine komplette Kammer mit den Parteien und ihren Anwälten einen Ortstermin in dem Restaurant des gegen seine Kritik klagenden Wirtes abgehalten hat, ist doch eine herrliche Geschichte. Der Kläger schloß nach verlorenem Prozeß die Pforte und ließ damit keine Fragen offen.
In meiner Leib- und Magen(verstimmungs)zeitung FAZ schreibt aber nun seit Jahren Jürgen Dollase, von dem ich bis heute nicht richtig verstanden habe, was ihn eigentlich einst zum Gastrokritiker qualifizierte und legitimierte. Sein hochtrabend klingendes, pseudoakademisches Geschwurbel jedenfalls läßt mich auch nach genauerer Lektüre meist ratlos zurück. Immer wieder aber fange ich mutig an, seine Artikel zu lesen, doch dann sterbe ich in der überwiegenden Zahl der Fälle ab. Das schlimmste Manko seiner Kolumnen scheint mir dabei die nahezu vollständige Abwesenheit von Humor zu sein. Der selbsternannte Gourmetkritiker-Gott spielt in seiner eigenen Welt und stelzt sich pfauengleich durchs mühsam und ohne jede Leichtigkeit von ihm aufgetürmte Fremd-und Fachwörterdickicht. Ganz da von „dollasen“ kann ich gleichwohl nicht. Ich rege mich ja auch manchmal gerne auf.
Und so ist mir nicht entgangen, daß der alte Krautrocker heute in der FAZ den Vogel abschießt. Unter der Überschrift „Küchenqualität ist keine Setzung“ versucht er sich grob gesagt an der wahnsinnig überraschenden und bedeutenden These, daß „Lieblingsrestaurant“ nicht automatisch mit „Spitzenrestaurant“ gleichzusetzen ist. So weit, so richtig! Nur, hat das jemals irgendwer behauptet!?
Das tollste Restaurant ist doch nichts wert, wenn man sich dort nicht wohlfühlt. Und dabei spielen die Existenz bzw. die Anzahl von Sternen eine absolut untergeordnete Rolle. Wie gerne äße ich häufiger im so angenehmen wie schmackhaften „Siebelnhof“ beim genialen und kreativen Alleskönner Erich Steuber, dem Erfinder der gehobenen regionalen Küche, den ich das Glück hatte, schon in früher Jugend kennenzulernen und zu genießen. Oder: Neulich war ich mit meiner Tochter beim großartigen Mittags-Menü im aachener „La Becasse“ und hörte, wie der Chef, Christof Lang, am Nachbartisch eine Runde zweier vornehmer, älterer Ehepaare auf gute rheinische Art „Na, seid ihr satt geworden“ fragte. Diese herzliche Einsternebehandlung dürfte doch in jedem Falle einer steifen Dreisterne-Anfrage im Stile von „Haben die Herrschaften gut gespeist?“ vorzuziehen sein!? Selbst wenn im Highend-Bereich alles noch ein bißchen besser gegart und gewürzt – ach nein, „aromatisiert“ – ist, heißt das doch noch lange nicht, daß ich dort eine bessere und angenehmere Zeit verbringe. Ganz abgesehen einmal von den immensen – zumeist zwar berechtigten – Mehrkosten, die hier und da geeignet sind, daß einem die Köstlichkeiten im Halse stecken bleiben! Und hat Dollase(Jahrgang 48) eigentlich jemals darüber nachgedacht, daß im Alter nicht nur der Hör-, sondern auch der Geschmackssinn nachläßt? Das ist eben die Tragik des Lebens, daß man sich Sterneküche genauso wie den Porsche, die Edel-Nutte und die Burmester-Hifi-Anlage meist erst leisten kann, wenn die gebotenen Spitzen und Nuancen gar nicht mehr ausreichend und umfassend wahrgenommen und gewürdigt werden können.
Und noch eines, Dollase! Daß sie zum Lachen in den Keller zu gehen, vollkommen abgehoben und nichts begriffen zu haben scheinen , offenbart sich an Sätzen wie „So liegt es nahe, dass der Freund einer bestimmten Imbissstube nichts lieber isst als „seine“ abendliche Currywurst mit Pommes Frites und Mayonnaise und dass ihn schon angesichts der Bilder von Gerichten der Spitzenküche das Grausen packt. Bei einem solchen Mangel an kulinarischer Sozialisation ist es sogar wahrscheinlich, dass die Probe aufs Exempel das Vorurteil bestätigt. Eine im Kern fast rohe Makrele mit Algen hat unter solchen Umständen gegen die Pommes keine Chance.“.
Da fühle ich mich angesprochen. Wenn ich in meiner kargen, griechischen Imbißbude vom lieben Petros das beste Gyros Aachens serviert bekomme, dann ist das ein kulinarischer Genuß. Und mich packt dabei das Grausen nicht, wenn ich an Spitzenküche denke, sondern eher an „Spitzenkritiker“. Und ein Steckerlfisch im gepflegten bayerischen Biergarten ist mir wahrscheinlich genauso viel wert wie – ich habe es noch nicht gekostet – ein ungegartes mit Algen umgarntes Exemplar. Dabei fühle ich mich trotzdem ausreichend kulinarisch sozialisiert.
Enden tut der Dollase-Erguß – vielleicht auch eine Ersatzhandlung!? – mit „Die beliebigen, unreflektierten Bewertungen von Restaurantqualitäten gehören nicht in Medien, die damit werben, dass sie für ein anderes Denken stehen.“. Da drängen sich doch zwei Fragen auf. Gibt es auch eine gehobene und reflektierte Beliebigkeit? Und, steht die FAZ wirklich für ein anders Denken?
Dollase, setzen!
Gute Nacht!
Ihr/Euer Wolf