wolfsgeheul.eu vom 22.12.2016

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Welche Dame ginge schon in einen Schlafsack gewandet zur Opernpremiere?

Erkläre mir einer die Mode! Regelmäßig erscheinen in der FAZ großflächige, dunkelbunte Anzeigen, die eine rothaarige, schlanke, mutmaßlich langbeinige junge Frau zeigen, die eine Art Schlafsack-Abendkleid der Marke „Moncler“ trägt. Aus einer Art Ballonseide, wattiert, schwarz, fast bodenlang und mit regelmäßigen, umlaufenden Quersteppungen, die zu einer Art Michelin-Männchen-Optik führen! Man ahnt, wie dem armen Mädchen unter der gepolsterten Plastikhaut die Schweißperlen literweise den Körper hinunter ins feste Schuhwerk rinnen. Und so sieht sie konsequenterweise auch nicht besonders glücklich aus und schaut recht streng drein.

Einem französischen Funktionstextilienhersteller beginnend 1952 tatsächlich mit Schlafsäcken und später Jacken für Extrembergsteiger – in etwa vergleichbar der Wellensteyn-Geschichte(s. Kolumne vom 15.03.2016) – gelingt es, vornehmlich mit seinen furchtbar primitiv aussehenden Jacken, die zu allem Überfluß unzählig kopiert werden, innerhalb weniger Jahre in die Liga der hochpreisigen Couture-Schmieden aufzusteigen? Wie schafft man es, eine Geschmacksverirrung, die nur in rauer Umgebung ihre Berechtigung haben mag aber nicht im gemäßigten Alltag, gesellschaftsfähig und zum begehrten Produkt insbesondere bei der Damenwelt zu machen?

Sicherlich war der Aufstieg durch die traurige Abkehr vom Mantel begünstigt. Auch will ich den Kleidungsstücken zubilligen, daß sie zuverlässig vor Wind, Wasser und Kälte schützen. Aber wer nicht Bergsteiger, Skifahrer, Küstenfischer etc. ist, braucht solch‘ funktionale Bekleidung definitiv nicht. Das will man in der Stadt nicht sehen, obwohl die Firma sich gerade mit dem Slogan „from the mountains to the city“ rühmt.

Und so bleiben mir die verschlungenen Wege der Modeströmungen weiterhin ein Rätsel.

Die Frau in der langen Kunststoff-Joppe stelle ich mir derweil in der Mailänder Scala vor, wie ein Gentleman sich anschickt, ihr aus der Thermowurstpelle zu helfen, und die höflich ablehnende Antwort erhält:

„Das ist sehr freundlich, aber ich trage nichts drunter.“

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 05.09.2016

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„Wir verschieben die Grenzen des guten Geschmacks.“.

Wer wirbt denn so? Charlie Hebdo, die Satirezeitschrift „Titanic“, die Protzweckerschmiede Hublot, Jan Böhmermann, Erika Steinbach, Markus Söder oder die AfD!? Nein! Und was sollen überhaupt „die Grenzen“ sein!? Gibt es da nicht nur eine!?

Der Wunsch nach immer neuen und außergewöhnlichen Formulierungen im Vereine mit der abnehmenden Beherrschung der deutschen Sprache treiben immer unsinnigere Blüten. Das Eingangsstatement wurde abgeleitet vom Titelblatt der zweiten Ausgabe diesen Jahres der Kundenpostille „Mercedes-Benz magazin“, das dort auf ein Interview mit dem „Aromenzauberer“ Dabiz Muñoz, dem man genau diese Grenzverschiebung zuschreibt, verweist. Für die, die wie ich, in der internationalen Oberliga der Kochkunst nicht ganz sattelfest sind, sei gesagt, daß es sich bei Muñoz um einen von aktuell acht spanischen Dreisterneköchen handelt.

Na, der würde sich für diese Ankündigung aber sicherlich bedanken, wäre er des Deutschen mächtig! Die Grenze des guten Geschmack bezeichnet doch zunächst unstreitig den Übergang zum schlechten. Und auf dem Weg dahin nimmt die Geschmacksqualität permanent ab, bis sie schließlich ins Negative, nicht mehr Goutierbare kippt. Das bedeutet aber, daß der, der genau diese Grenze verschiebt, sich noch weiter ins Land des Ekels hineinbewegt und es ihm dabei – wie auch immer – lediglich gelingt, trotzdem noch nicht auf der anderen, falschen Seite zu landen. Was also bisher fast schon ungenießbar war, steigert er noch, ohne seine Kunden endgültig zu vergrätzen. Da es in der modernen Highendküche verstärkt um die Herausarbeitung und Verwendung von Aromen geht, kann es sich bei dieser artistischen Grenzzaunverschiebung eigentlich nur um einen Vorgang handeln, bei dem zum Beispiel Stinkmorcheln der Duft von Lavendel eingehaucht wird, damit sie überhaupt zum Verzehr geeignet sind.

Ist es das, was wir von einem Spitzenkoch erwarten? Natürlich nicht! Der Feinschmecker möchte doch genau auf der anderen Seite des Spektrums durch Optimierung überrascht, erfreut, bezaubert und beseelt werden! Und das scheint Herr Muñoz offensichtlich zu beherrschen, denn sonst kämen die strengen Michelin-Tester niemals auf die Idee, ihn maximal zu dekorieren.

Die Überschrift im Mercedes-Blättchen ist also entweder nur dumm oder läßt tief blicken. Lotet man etwa auch beim Daimler die Grenze des guten Geschmacks aus und treibt sie vor sich her, wenn es um Schadstoffausstöße oder das Entwickeln immer größerer, überflüssigerer und vor allem häßlicherer Autos geht!?

Wie wunderbar wäre es doch, lebten wir in einer Welt, in der es nur Virtuosen gestattet wäre, sich als Grenzgänger ihres Faches zu betätigen! So wie Dabiz Muñoz, dessen edle Speisen mir möglicherweise in diesem Leben leider nicht mehr zuteil werden.

Bon appétit und gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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