wolfsgeheul.eu vom 19.07.2016

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Schluß mit Rilke: „Insert words!“!

So könnte eine Kolumne beginnen, in der einzig obige Eingangsaufforderung geschrieben steht. Das hätte für meine Besucher den entscheidenden Vorteil, daß jeder den Grad seines Lesevergnügens selbst zu bestimmen in der Lage wäre. Aber ist das der Sinn der Sache?

Etwas anders liegt der Fall dann, wenn ein Fluxuskünstler wie Arthur Køpke ein an ein Kreuzworträtsel erinnerndes Collagenbild erschafft und darauf exakt mit dieser Formulierung zum Einsetzen von Wörtern aufruft. „fluxus“ heißt ja nicht nur „fließend“, sondern auch „ver- oder zerfallend“ bzw. „wandelbar“. Und genau das war das Neue dieser Kunstrichtung, daß es ihr nicht so sehr auf das Werk an sich, aber vielmehr auf die kreative Idee dahinter ankam. Das Augenblicksereignis des Schaffens war nur das Ergebnis der Vorüberlegungen, das Produkt also nur deren Ausdruck, das bald vom nächsten Einfall und Machwerk überholt werden würde und deshalb als einzelnes nicht so wichtig zu nehmen war. Geistesblitze sind die wahren Unikate, funktionieren aber nur zu ihrer Zeit und verpuffen zumeist. Nebensächlichkeit, Veränderung und Vergänglichkeit des Opus waren also einkalkuliert und maßgeblicher Teil der Aussage.

Ein Privatsammler hat besagtes Tafelwerk, das mit immerhin 80.000 Euro versichert ist, aus der Rätselabteilung Køpkes erworben und dem Neuen Museum Nürnberg – ein tolles Gebäude entworfen von Volker Staab, das sich trotz seiner Modernität mit einer einhundert Meter langen, verglasten Fassade erstaunlich harmonisch in die Altstadt der wunderschönen Ansiedlung an der Pegnitz einpaßt, wie ich mich letztes Wochenende vor Ort selbst überzeugen konnte – als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Für die Ewigkeit! Wenn das Herr Køpke wüßte!

Nun kommt eine 91-jährige pensionierte Zahnärztin ins Spiel, die mit dem „Schreibkreis“ ihres Seniorenzentrums dem Ausstellungsort einen Besuch zwecks literarischer Inspiration abstattete. Nachdem sie sich längere Zeit in das Bild vertieft hatte, zückte sie einen Kugelschreiber und füllte die von ihr für passend erachteten Wörter ein, bis sie vom Museumswärter entdeckt und von weiterem Tun abgehalten wurde. Großartige Frau! Es erfüllte mich mit Stolz, wäre es meine ebenso alte Mutter, die übrigens ein ausgewiesener Fuchs beim Kreuzworträtseln – je schwieriger umso besser – ist, gewesen. Und der Künstler, was hätte er von dem Vorgang gehalten? Man weiß es nicht, wir können ihn nicht mehr befragen. Wäre er aber getreu seiner Linie in der Beurteilung dieses vermeintlichen Frevels, müßte er begeistert und vornehmlich verwundert gewesen sein, daß dieser erst jetzt geschehen ist. Das Bild läßt sich übrigens leicht restaurieren, so daß die Museumsleitung das Aufseherversagen im Vordergrund sieht und die alte Dame, die vorgibt, nur der Aufforderung des Künstlers gefolgt zu sein, wohl ungeschoren davonkommen wird.

In unserer ernsten und häufig grausamen Welt eine herrliche, herzerfrischende Anekdote, die mich an meine Jugend – vor über dreißig Jahren, also längst verjährt – erinnert. Mit meinem besten Freund habe ich einmal ein Kunstwerk von Sol LeWitt aus der Reihe der „Serial Projects“(Beispiele s. Link: http://www.artnet.com/galleries/paula-cooper-gallery/artist-sol-lewitt/ ) in einem unbeaufsichtigten Augenblick verändert, indem wir die Cubes auf der gerasterten Grundplatte wie Schachfiguren behandelt und verstellt haben. Nach unzähligen Zügen – wir spielten uns fast in einen Rausch, den wir wahrscheinlich schon vorher ertrunken hatten – erwischte uns der Wärterrentner und fragte entsetzt, was wir dort täten. Unsere Erklärung, wir seien der Ansicht gewesen, dies sei der Sinn des Kunstwerkes, ließ ihn ratlos und er tat uns schon ein bißchen leid. Deshalb boten wir ihm freimütig an, die Züge, die uns sämtlich in Erinnerung seien, einfach wieder rückgängig zu machen. Selten sahen wir einen glücklicheren Menschen, der uns sofort bat, genau das ins Werk zu setzen. Vor seinen Augen haben dann in gespielter Konzentration mit ausdrücklicher Genehmigung den vorgeblichen Rückbau vollzogen, der natürlich in Wahrheit nur die Fortsetzung unseres zufälligen Tuns darstellte und das Werk einzig weiter von seiner ursprünglichen Form entfernte. Als wir „fertig“ waren, bedankte er sich mit Handschlag und wir hatten der angeschlagenen Reputation unserer Generation einen Dienst erwiesen. Der alte Mann jedenfalls war über unsere höfliche, einsichtige und zupackende Art höchst erfreut. Und sollte es, was ich stark vermute, niemandem aufgefallen sein, haben seither alle Besucher ein Kunstwerk betrachtet, an dessen Gestalt mein Freund und ich entscheidend mitgewirkt haben. Vielleicht sollten wir uns diesbezüglich einmal an die entsprechende Museumsleitung wenden und sie bitten, unser beider Namen zusätzlich auf dem Schild zu vermerken. Es wäre nur recht und billig! Kunst soll Spaß bereiten. Bei uns hat sie das getan. Da spielt es gar keine Rolle, ob der Künstler selbst Humor hat.

„Insert Words!“! Habe ich gemacht, Herr Køpke!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

P. S.: Auch wenn es nur wenige interessieren sollte, verlangen meine überbordende Freude darob und die Berichterstatterpflicht eine Mitteilung. Ich habe mein Handicap, wenn auch nur geringfügig, verbessert! Hurra!

 

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wolfsgeheul.eu vom 23.03.2016

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In der Not geht Alkohol auch statt Brot!

Neulich traf ich in einer Galerie auf einen sehr netten Künstler, der sich jahrzehntelang dem schnöden Kunstbetrieb verweigert hat und nun im fortgeschrittenen Alter bekannte, froh und dankbar zu sein, Zugang zu einer Ausstellung gefunden zu haben. Die Hoffnung auf einige einträgliche Verkäufe beflügelte seine Phantasie und er war bester Laune. Als ich die Vernissage verließ, begegneten wir uns noch einmal, und er verabschiedete sich mit der Bemerkung, daß er jetzt noch trinken werde, was gehe, um über Nacht keinen Hunger schieben zu müssen. „Och härrm!“ kam mir in den Sinn, das sagt der Aachener nämlich, wenn er Mitleid oder Anteilnahme ausdrücken will. Aber es ist auch erstaunlich, welchen Preis mancher für seine Freiheit zu zahlen bereit ist. Der brotlose Künstler lebt mitten unter uns, doch letztlich weiß man gar nicht genau einzuschätzen, ob man ihn wirklich bedauern muß oder eher beneiden sollte. Jedenfalls war das einmal ein im wahrsten Sinne des Wortes bodenständiger Maler ganz ohne Allüren.

Von den Niederungen des Kulturbetriebes nun zu den schwindelnden Höhen! In der FAZ vom vergangenen Freitag fand sich eine gar nicht so kleine Anzeige vom Städel Museum für einen Onlinekurs über die Kunst mit der „Kahnfahrt“ von Richter und dem Text „Das ist unscharf. Warum ist das so? Finden Sie es heraus!“ als Aufmacher. Das machte mich neugierig und ich dachte, gut, daß hier einmal der Versuch unternommen wird, dem gemeinen Volk die bildende Kunst nahezubringen. Dummer Gedanke! Das Museum mit dem Rückenwind der Bankenwelt in der Finanzmetropole Frankfurt wirbt teuer in der FAZ. Wie will es da den musisch unbeleckten Teil der Bevölkerung erreichen!?

Gleichwohl habe ich mich im Internet einem kurzen Selbstversuch unterzogen. Eine tolle Plattform, auf höchstem Niveau herausfordernd und lehrreich, zum Zunge schnalzen! In Videosequenzen geführt vom Spitzenschauspieler Sebastian Blomberg kann derjenige, der viel Zeit mitbringt, diese sehr kurzweilig verbringen. Großartig! Aber was soll eine so aufwendige und teure Produktion, die sich eindeutig nur an die wendet, die bereits Blut geleckt bzw. sogar schon umfangreiche Kenntnisse erworben haben und längst zum Stammpublikum der Museen der Welt gehören!? Auf meine Rückfrage erklärte mir eine sehr freundliche und kundige Pressereferentin des edlen Hauses, daß dieses pädagogische Werkzeug mit Hilfe des Museumsvereins und einer Stiftung möglich gemacht wurde. Zu meinem Einwand, der ohnehin Kulturinteressierte sei vielleicht auch bereit, dafür zu bezahlen, erklärte sie, man sei aber stets und gerne bemüht, kostenfreie Tools zu entwickeln und der „Allgemeinheit“ zur Verfügung zu stellen. Schön, aber das sagt sich so leicht, wenn man nicht unternehmerisch denken muß und augenscheinlich über genug öffentliche und private Gelder verfügt! Wenngleich es natürlich wunderbar ist, sich in dieser Art frei den Schönen Künsten widmen zu können, sosehr fragt man sich, woher die zukünftigen Kunden kommen sollen, wenn man sich im Heute auf diese Weise mehr um den Wissenden kümmert und ihn obendrein kostenfrei labt. Gerade ob der beklagenswerten gravierenden Defizite in der öffentlichen Bildungslandschaft(s. auch Kolumne von gestern) sollte doch der Fokus auf der Jugend liegen, damit in den Austellungsräumen nicht einmal gähnende Leere herrscht, wenn die interessierten und vermögenden Graukappen ausgestorben sein werden. Meines Erachtens werden hier falsche Prioritäten gesetzt, und der hochwohlgeborene Kulturbetrieb feiert sich selbst, schmort narzißtisch im eigenen Saft. Bitte einmal drüber nachdenken, aber trotzdem danke, Städel! Und meine Empfehlung: Unbedingt reinschauen unter “ onlinekurs.staedelmuseum.de „!

So eng liegen Freud‘ und Leid‘ zusammen! Wenn man aber auf der Sonnenseite des Lebens steht, sollte man auch und gerade im eigenen Interesse den Blick auf die, die (noch) im Schatten stehen, nicht vergessen. Manche wissen leider aber offenbar gar nicht, wie gut es ihnen geht.

„Und bis zum Sinken überladen entfernt sich dieser letzte Kahn.“!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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