Multikulti – immer noch eine Illusion!
Deutschland ist nicht das gelobte Land, aber trotzdem heißbegehrt. In diesem Widerspruch liegt ein Erklärungsansatz, warum wir es seit dem Krieg nicht geschafft haben, tatsächlich zu einer – auch von mir gerne herbeigeredeten – multikulturellen Gesellschaft im Sinne einer Einheit in Unterschiedlichkeit zu werden. Menschen suchen bei uns nur Zuflucht und nach Auskommen, weil wir ein hochentwickeltes, sicheres und soziales Land sind. Sie kommen aber nicht, weil sie aus Bewunderung für unsere Nation ein Teil von uns werden wollen. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, in toto wird man das jedoch so sagen dürfen. Wir werden also nicht geliebt, sondern genutzt.
Nun könnte man vermuten, daß eine maßgebliche Ursache darin zu finden ist, daß sich in Deutschland aufgrund der uns bis heute belastenden Verbrechen im Dritten Reich nie ein neues und nachhaltiges Nationalgefühl entwickelt hat. Einer nicht existenten kollektiven Identität kann man sich nicht anschließen. Stattdessen integriert man sich insoweit, als man Teil dieser heterogenen Gesellschaft wird, ohne sich im übergeordneten Sinne dann als Mitglied einer Gemeinschaft mit eigener Identität zu sehen. Der Vorwurf mangelnder Integrationsbereitschaft geht also oft fehl. Der Zuwanderer paßt sich nur an und genießt wie die anderen die Segnungen eines reichen Staates.
Wäre das tatsächlich der Grund, dann müßte Migration allerdings in anderen Ländern, die eine nationale Identität besitzen, besser ablaufen. In Frankreich zumindest stimmt das eher nicht. Aber dort fehlt es vielleicht auch an der Bereitschaft, Neuankömmlinge vorbehaltslos in die Arme zu schließen. Das stellt eben auch eine Eigenart einer starken Nation dar, daß sie sich schwertut, andere, Fremde in ihren Reihen aufzunehmen. In Großbritannien, so könnte man denken, funktioniert Integration reibungsloser, weil man – möglicherweise auch wegen der langen Kolonialtradition – ein fast missionarisches Sendungs- und Selbstbewußtsein hat. Man hält sich für ein Vorbild und erwartet deshalb Stolz und Demut von denen, die man sich einordnen läßt. Doch auch dort zeigen zum Beispiel die Terrorakte, daß umfangreiche Parallelgesellschaften existieren, die die Vorteile mit Freude nutzen, aber vom Ganzen nicht viel halten, es ablehnen, ja gegebenenfalls sogar hassen.
Alle europäischen Staaten – ob mit oder ohne Nationalgefühl – haben also Integrationsprobleme. Es fehlt ihnen, anders als in den Vereinigten Staaten, die letztlich bis heute eine Ansammlung von nationalen und/oder religösen Volksgruppen darstellen, das gemeinsame Band, der Strick, an dem alle, wenn es hart auf hart kommt, man zum Schwure antreten muß, bedingungslos ziehen. Eine typische Besonderheit für Einwanderungsländer, in denen die Einheimischen nicht mehr die Mehrheit stellen und entsprechend nicht die Regeln bestimmen!
Wenn aber Nationalstaaten nicht in der Lage sind, den Kristallisationspunkt für alle Einwohner zu bieten, dann sollte bzw. muß dies eine andere Institution übernehmen. Denn an der Tatsache, daß in einer globalen Welt Wanderbewegungen nahezu unaufhaltsam sind und somit Migration niemals verhindert werden kann, wird sich nichts mehr ändern. Für Europa heißt das, daß wir als Union nur dann eine Chance haben, unsere einzelstaatlichen Probleme in den Griff zu bekommen, wenn es uns gelingt, eine eigenständige europäische Identität zu entwickeln, die geeignet und stark genug ist, daß Menschen unabhängig von Herkunft und Religion bereit sind, sich mit Freude und Stolz dieser unterzuordnen, sich dieser zugehörig zu fühlen.
Europa als Institution ist also kein Auslaufmodell, sondern wichtiger denn je, wollen wir in Frieden und Wohlstand weiterleben.
„Alle Menschen werden Brüder“!
Gute Nacht und guten Rutsch!
Ihr/Euer Wolf
P. S.: Die nächste Kolumne erscheint am Abend des Neujahrstages.