wolfsgeheul.eu vom 08.08.2016

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Mea culpa!

Mir ist bekannt, daß ich nicht selten ein altes Lästermaul bin, so manches Mal auch ungerecht sein kann und gelegentlich über das Ziel hinausschieße. Aber aus purer Zurückhaltung ergibt sich nun einmal überwiegend keine intellektuelle Konfrontation, die alle Beteiligten zum Nachdenken anregt und zwingt, ihren Geist besonders anzustrengen und ihre Argumente zu wägen und anzuspitzen. Auch ist mir bewußt, daß ich beiweiten nicht fehlerfrei bin und mir sich häufig zum Teil nicht unbeträchtliche, mir regelmäßig peinliche Wissenslücken offenbaren. Glücklicherweise jedoch gibt es immer jemanden, der es besser weiß, und so heißt es lernen, lernen und nochmals lernen.

Wenn man anderen also Fehler vorwirft, kann es durchaus sein, daß man selbst im Glashaus sitzt. Übte man sich wegen dieses Risikos aber ständig in Zurückhaltung, käme nichts in Bewegung.

Und somit, liebe FAZ, was ist denn in dich gefahren!? Als ewiger Zeitungsvonhintenleser werfe ich gleichwohl zuvörderst im eingeklappten Zustand einen Blick – auch wegen des Titelphotos – auf den oberen Teil der Hauptseite. Und da steht heute folgende kleinere Überschrift: „IS bezichtigt sich des Angriffs auf Polizei in Belgien“. Man liest einmal, man liest zweimal und denkt, hier stimmt doch etwas nicht. Nach Rückversicherung in meiner Wörterbibel, dem Wahrig, weiß ich, daß ich recht habe. „Bezichtigen“ existiert(e) nicht in der Form eines reflexiven Verbs. Es wird „jemand“ bezichtigt, etwas getan zu haben, aber dieser jemand ist man niemals selbst. Es macht doch keinen Sinn, sein eigener Ankläger und Richter zu sein, weil man sich – vom Suizid einmal abgesehen – auch nicht selbst verfolgen und richten kann. Zur Anklage bedarf es zum einen gesellschaftlicher bzw. staatlicher Setzungen und eines Außenstehenden, der sich unter Bezugnahme auf diese aufschwingt, dem anderen einen Vorwurf hinsichtlich seines Tuns oder Unterlassens zu machen und gegebenenfalls deswegen zu verurteilen.  Der Betroffene hat im Verfahren die Wahl, sich entweder zu verteidigen oder sich schuldig zu bekennen. Wer demnach einräumen und zugeben möchte, Verantwortung für etwas zu tragen, der bedient sich des Mittels des Sichbekennens zu seiner Schuld und überläßt dann die endgültige Beurteilung einer unabhängigen dritten Person. Man braucht sich auch nicht zu beschuldigen bzw. kann es begrifflich gar nicht – ob die Beschuldigung übrigens nur Vermutung oder gemeinte Gewißheit ist, spielt keine Rolle, da Tat und Schuld so oder so erst bewiesen werden müssen, um die Schuld sühnen zu können -, denn man weiß es ja besser als alle anderen, wenn man dabei war und schuldhaft gehandelt hat. In der Situation kann man die Schuldfrage selbst beantworten. So war es, und so sollte es immer bleiben. Zur Verdeutlichung, warum exakte Sprachnutzung und -differenzierung hier äußerst wichtig ist, denke man beispielsweise nur an falsche Geständnisse, die ansonsten niemals entlarvt werden würden. Als jemand, der sich hartnäckig der Rechtschreibreform widersetzt – auf T-Online dürfen wir heute die mit „Die Rechtschreibreform hat ihr Ziel verfehlt“ übertitelte AFP-Meldung mit der Subunterschrift „Fehlerquote an Schulen steigt“ lesen, die zwanzig Jahre nach Einführung das ganze Ausmaß des Desasters zeigt -, ignoriere ich bewußt, daß Duden-Online auch die reflexive Nutzung beispielhaft aufführt und ihr damit offenbar seinen zweifelhaften Segen erteilt.

Hiermit bezichtige ich die FAZ, durch ihre schleichende Anpassung an die kollektive Dummheit Mitschuld an der weitergehenden Verblödung zu tragen, und ich bekenne, daß ich von der ehemaligen Vorzeigezeitung als Fels in der Brandung maßlos enttäuscht bin.

Wie konnte es nur zu diesem dramatischen Niveauverlust unserer Sprache kommen!? Unsere ganze Kommunikation und Interaktion leidet darunter. Als wäre es nicht ohnehin schon schwer genug, sich miteinander zu verständigen, da wir zu oft deshalb aneinander vorbeireden, weil wir es verabsäumen, uns zunächst und da wo nötig über die verwendeten Begrifflichkeiten und deren jeweilige Definition oder Bedeutung zu einigen, gerät jetzt auch noch unsere Sprache in das Fahrwasser der Beliebigkeit und verflacht derartig, daß mit vielen Menschen eine differenzierte Auseinandersetzung gar nicht mehr möglich ist. Die zahlreichen, oftmals gravierenden Folgen in allen Lebensbereichen, sind unermeßlich, und es steht zu befürchten, daß wir uns hier leider auf einem Weg ohne Wendemöglichkeit bewegen. Wer seine Sprache tötet, kann sich nicht mehr verständigen, und eine Gesellschaft, die sich nicht mehr verständigen kann, versinkt im Chaos. Und der Blick auf die bittere Realität gibt mir bedauerlicherweise recht. Wenn das kein Grund zur Besorgnis ist!? In diesem Sinne wünsche ich eine unruhige

gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 04.08.2016

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„Ruhelosigkeit“!

So ist ein interessanter Leserbrief in der heutigen FAZ überschrieben. Er bezieht sich auf einen Artikel von Jakob Strobel y Serra, den ich nicht gelesen habe, in dem aber wohl ein Loblied auf das Reisen anstimmt worden sein muß und das Nichtreisen als „kleinmütige Kapitulation“ und „Verrat am Leben“ geziehen wurde. Das klingt aber sehr forciert vom von mir sehr geschätzten Herrn Strobel!

Der kritische Zeitungskonsument erlaubt sich daher im Gegenzuge, Seneca d. J. aus dessen Episula 69 – habe ich leider nicht im Schrank – wie folgt zu zitieren: „Du sollst nicht wechseln die Gegend und von einem Ort zum anderen hinüberspringen,……………, weil so häufiges Reisen Zeichen einer unsteten Sinnesart ist: Kraft zu gewinnen durch Muße vermag sie nicht, wenn sie nicht aufhört, herum zu blicken und umherzuirren. Um deine Seele zusammenhalten zu können, bring erst deines Körpers Ruhelosigkeit zum Stehen.“

Mit der Art des Reisens habe ich mich bereits vielfach beschäftigt(s. z. B. Kolumne vom 06.10.2015), aber diese Sicht auf das Thema hatte ich in der Schärfe noch nicht. In Ermangelung des vollständigen Textes kann ich nun nicht sagen, ob Seneca, hat man seine Ruhe erst einmal gefunden, das Aufnehmen von Reisen für gang- und verantwortbar hält oder gar das Zurruhekommen als unabdingbare Voraussetzung im Sinne einer geistigen und emotionalen Festigkeit dafür sieht, überhaupt zu reisen, es dann aber vielleicht sogar empfiehlt. Und war Seneca ein Vorbild für Kant?

Man sollte es demnächst einmal nachlesen, aber eigentlich spielt es keine Rolle, denn im Kern kennen wir die Meinung Senecas aus dem Psalm 37 als „bleibe im Lande und nähre Dich redlich.“. Sicherlich ein bedenkenswerter Aspekt, wenngleich ich, so sehr ich gegen Hast und Oberflächlichkeit votiere, im Reisen immer auch eine zurückgelegte Wegstrecke in unbekannte oder bekannte, auf jeden Fall aber fremde Welten mit mehreren Stationen sehe, allerdings einräume, daß man auf diese Weise nur in Maßen konkret und tief in kleine fremde Welten einzutauchen vermag. Auf der anderen Seite aber kann der Gesamtaufenthalt in der Fremde – erst recht wenn man die dortige Sprache spricht – meiner Meinung nach doch so etwas wie eine vorübergehende assimilierende Verschmelzung mit dem unbekannten Terrain und seinen Menschen insgesamt erreichen.

Eine vermittelnde Lösung postuliert mein geliebter Hans Blumenberg(s. auch Kolumne vom 11.06.2016), der in seinem Kurzbeitrag „Reisen durch die präparierte Welt“(zu finden im Suhrkamp-Taschenbuch-Wissenschaft Nr. 2141 „Schriften zur Technik“) den Oberinspektor X. vorstellt, der seit über zwanzig Jahren seinen entschleunigten Urlaub am selben Ort verbringt und diesem den für kurze Zeit daselbst heuschreckenartig einfallenden Reisebus und seine gehetzten Gäste, die nach geballtem Kurzprogramm genauso schnell verschwunden wie sie gekommen sind, entgegenstellt. Wem dabei seine Sympathie gilt oder wer er dabei wahrscheinlich selbst ist, liegt auf der Hand. Zum Ende der Geschicht‘ sagt er über den Protagonisten: „Er ist vielleicht bescheiden genug, daß sich ihm das kleine Stückchen Welt, das er in jedem Urlaub wieder umwirbt, mit seiner verborgenen Fülle hingibt. Und wenn er das Schmähwort des „Spießers“ nicht scheut, das die laute Touristengesellschaft vorhin auf der Zunge führte, dann wird ihm das wahre Glück allen Reisens zuteil: an der Fülle des Fremden sich das Eigene erst recht zu eigen zu machen.“.

Blumenberg hat also das Glück auf Reisen erfahren. War Seneca genauso glücklich? Oder liegt die Kunst lediglich in der richtigen geistigen Verfassung des Reisenden und der genügenden Präparation und Dosage? Letztlich muß jeder seinen Weg finden. Auf das Reisen gänzlich zu verzichten, scheint mir allerdings nicht der Königsweg zu sein, weil einem auf diese Weise einiges Beglückende und Befruchtende entgeht. Allein das Zurückkehren in die jeweilige Heimat ist doch eine Freude an sich. Fest steht aber auch, daß das, was viele und vermutlich die Mehrheit heute für Reisen halten, damit nicht im geringsten etwas zu tun hat und überwiegend wert- sowie witzlos ist.

Wer seine Reise jedoch bereits vorher grundsätzlich bedenkt und dann auch mit Bedacht reist, hat wesentlich mehr davon. Und selbst wenn es bei den Vorbereitungen bleiben und die Reise gar nicht angetreten werden sollte, bleibt schon ein Gewinn. Sogar der Finger auf der Landkarte kann mehr Reiseerfahrung vermitteln, als große Teile der heutig beliebten, ruhelosen Tourismusformen. So oder so liegt der Schlüssel in der Ruhe!

Bon voyage und gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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