Jedes zehnte verkaufte Fahrrad verfügt heute über einen Elektroantrieb. Der aktuelle Bestand geht in die Millionen und der Trend ist ungebrochen. Während früher die Fahrräder unter den Zweirädern die waren, die allein mit Muskelkraft bewegt werden mußten und deshalb auch keines Führerscheines bedurften, hat sich inzwischen heimlich, still und leise eine Vielzahl neuer, motorisierter Verkehrsteilnehmer hinzugesellt, die sich aber nach meinem Eindruck Eindruck weiterhin als gleichwertiger Teil der Pedalistenfamilie wähnt. Das führt zu nicht unerheblichen Veränderungen und Problemen im Verkehr.
Da ist insbesondere die gewandelte Wahrnehmung. Früher wußte man, wenn man in eine ansteigende Straße einbog, daß der von links kommende Radfahrer eine Weile braucht, um sich heranzuächzen, heute kann selbst das alte Mütterchen in Sekundenschnelle herangenaht sein, ohne daß man eine Chance hat, sie vorher als rasende Hilfsmotor-Omi zu erkennen. Ein Gewöhnungsprozeß, denn aufhalten läßt sich die Bewegung bedauerlicherweise schon längst nicht mehr, wenngleich ich diese Zweiradspezies grundsätzlich als überflüssig empfinde; wer nicht mehr normal radeln kann oder will, sollte auch nicht mehr in die Pedale treten. Das war eine natürliche Auslese und hielt uns die fern, die auf einem solchen Gefährt nichts mehr zu suchen haben, weil sie damit sich und andere gefährden. Aber es war dem Menschen seit jeher immanent, daß er Grenzen verschieben möchte, und die große Gruppe der Senioren akzeptiert ganz offensichtlich in ihrem Streben nach ewiger Jugend und Vitalität überhaupt keine natürlichen Beschränkungen mehr. Es ist noch nicht so lange her, daß der gesunde ältere Mensch irgendwann nur noch Spazierengehen konnte, was ihm auch gut zu Gesicht stand und seinem Leistungsniveau entsprach. Das war auch noch die Zeit, als Enkel echte Großeltern hatten, die sich sichtbar von der Jugend unterschieden. Wie bereits gesagt, es hilft kein Klagen. Die neuen Verhältnisse sind zur Kenntnis zu nehmen.
Was aber nicht akzeptiert werden muß, ist die Tatsache, daß der motorunterstützte Zweiradler jetzt auch Terrains erobern kann, die ihm vorher verwehrt waren. Kein normaler Radfahrer wäre früher auf die Idee gekommen, sich mit seinem Drahtesel auf hügeligen Waldstrecken zu bewegen. Die erste Revolution waren die Mountainbikes, die zugestandenermaßen zu Anfang auch zu Problemen geführt haben und dies leider bis heute tun. Es war für den Wanderer ein Novum, daß er seine Wege, auf denen er früher nur Seinesgleichen begegnete, fortan mit Radlern teilen mußte. Und die Hügelbiker lassen es eben oft an der gebotenen Rücksichtnahme fehlen, so daß die eigentlich mögliche, friedliche Koexistenz von Fuß- und Radvolk immer wieder auf eine harte Probe gestellt wird. Was aber meines Erachtens gar nicht in den Wald und in die Berge gehört sind Motorfahrzeuge, wobei das elektrifizierte Bergfahrad ohnehin der Gipfel des Widerspruches in sich ist. Während nämlich den Mountainbiker und den Wanderer früher noch einte, daß sie allein mit Muskelkraft den Gipfel oder die Paßhöhe erreichen mußten, kommt heute eine Gruppe hinzu, die den Weg und das Ziel sich nicht erarbeiten müssen. Eine völlig andere Philosophie, die definitiv inkompatibel ist. Motorräder – und nichts anderes sind Elektrodrahtesel – haben keine Berechtigung in der mittelgebirgigen und alpinen Welt. Hoffentlich verfügt das bald einer!
Gute Nacht!
Ihr/Euer Wolf