wolfsgeheul.eu vom 24.06.105

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„Situs vilate in iset ab ernit!“.

Diese uralte, römische Spruchweisheit begleitet mich schon über die Jahrzehnte. Nicht, daß sie mein Lebensmotto geworden wäre, dafür ist sie eher zuwenig tiefgründig. Auch die allgemeine Bekanntheit der Bedeutung, manchmal selbst bei Menschen, die des Lateinischen nicht mächtig sind, spricht wohl dagegen. Es ist wahrscheinlich vielmehr der Schwierigkeitsgrad der Übersetzung, weil eben nicht gängige Wörter und grammatikalische Konstruktion verwandt werden, die selbst Altsprachler vor größere Probleme stellen. Eigentlich vermag nur ein Bruchteil der Befragten mit der richtigen Auflösung aufzuwarten. Hier trennt sich also die Spreu vom Weizen, hier können das Latinum sich beweisen und der Könner glänzen. Obendrein ist es eine Art Charaktertest. Ist jemand Sportler genug, um selbst nach größter Anstrengung sein Scheitern souverän einzugestehen? Hat der Proband genügend Humor, um nach der überraschenden Enthüllung herzlich über die Sentenz und sich selbst zu lachen? Ich habe schon ernste, sehr kundige Menschen beim Nußknacken fast verzweifelt und nach Bekanntgabe der korrekten Interpretation regelrecht verärgert, beleidigt gar gesehen. Andere wiederum schütten sich geradezu aus vor Lachen und geloben sportlich herausgefordert, den hinterhältigen Aufgabensteller bei nächster Gelegenheit zurückzunecken. Ein intelligentes, espritvolles Wechselspiel des Schabernacks kann hierdurch in Gang gesetzt werden, welches auf hohem Niveau die Gespräche und das Leben  durch Humor bereichert. Auch offenbart sich der Kultur- und Bildungsunterschied zwischen Ost und West, weil der überwiegende Teil der in der DDR Sozialisierten – Hauptausnahme bilden die Ärzte und natürlich die Theologen – direkt zu Anfang die Segel streichen muß, da Latein gar nicht gelernt worden ist, was sich im übrigen auch an dem mageren und/oder oft falschen Gebrauch von Fremdwörtern zeigt, wobei das nicht vollkommen dieses Defizit erklärt, weil auch im Westteil Deutschlands die wenigsten zusätzlich Griechisch in der Schule hatten und trotzdem auch die Wörter dieses Ursprunges häufig und zumeist korrekt gebrauchen. Letztlich deckt das Übersetzungsrätsel auch ansonsten vorhandene elementare Differenzen zwischen den Landsmannschaften in der Fähigkeit zum Finden der richtigen Lösung auf. Das hängt aber zugestandenermaßen damit zusammen, daß der lateinische Sinnspruch zusätzlich Besonderheiten des umbrischen Dialektes, der witzigerweise und von Sprachforschern bis heute nicht erklärbar Parallelen zur rheinischen Mundart aufweist, beinhaltet, so daß – was natürlich etwas ungerecht ist – der Rheinländer, der obendrein zumeist die Kunst des sich selbst auf den Arm Nehmens beherrscht, bei der Aufgabe gleich doppelt eindeutige Vorteile besitzt.

Genug der Worte, viel Spaß beim Übersetzen!

Und für die Ungeduldigen – die anderen mögen bitte zunächst nicht weiterlesen – folgt hier eine Verständnishilfe, die hoffentlich die Augen zu öffnen vermag:

„Sit us vi latein iset aber nit!“.

Nichts für ungut!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 23.06.2015

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Wegen einer abendlichen Verpflichtung erscheint meine heutige Kolumne ungewöhnlich früh!

Mein sehr guter Freund, Harald Klein, ein weit über Deutschland hinaus bekannter diplomierter Designer, Innenarchitekt, Photograph und Maler, der insbesondere im Bereich „Hotel“ und „Gastronomie“ arbeitet, hat heute Geburtstag. Für mich ein Anlaß, einmal über die Profession „Innenarchitekt“ nachzusinnen, zu der meine Ansicht auch durch ihn einigen Wandlungen unterworfen wurde.

Rundheraus gesagt hielt ich, obwohl architekturbegeistert, einen Innenarchitekten zumindest im privaten Wohnbereich lange Zeit grundsätzlich für überflüssig. Ausnahmen galten für mich nur für die Bauherren und Eigentümer, die zwar Geld, aber keinen (eigenen) Geschmack bzw. Stil besitzen. Und bevor solche Herrschaften, obendrein gleichwohl für Unsummen, ästhetische Desaster anrichten, sollen sie sich doch lieber von Profis vorgeben lassen, wie man so halbwegs schön lebt. Berechtigte Bedenken aber, daß es dem Stillosen solcherart tatsächlich dauerhaft gelingt, sein Defizit zu verbergen, sind jedoch zumindest bei nicht fortdauernder Beratung angebracht. Irgendwann fällt dann doch auf, daß zum Beispiel keine (respektablen) Bücher vorhanden sind, die Atmosphäre etwas antiseptisch wirkt und individuelle Zutaten wie Kunst- und Dekogegenstände den Ungeschmack offenbaren. Wenigstens stimmt aber noch das Grundgerüst. In meiner Jugend durfte ich einmal bei Eltern einer Kommilitonin das Werk einer Inneneinrichterin – was auch immer das ist und diese Person war – „bewundern“, die unter anderem im Wohnraum einen orange-roten, umlaufenden Farbstreifen an den Wänden unterhalb der Decke empfohlen hatte. Das wirkte leider nur artifiziell, geradezu lächerlich und hatte nichts organisch Individuelles. Auf der anderen Seite bewundern wir Gesamtkunstwerke wie das Palais Stoclet in Brüssel, die Villa Tugendhat in Brünn oder die Villa Esche in Chemnitz. Aber heißt Verehrung der großen, umfassend tätigen Architekten und Formgestalter auch, daß man in solchen Häusern leben wollte? Und muß wirklich bis zu den Möbeln, Stoffen, dem Geschirr und Besteck alles durchgestylt und einheitlich sein? Meine persönliche Antwort lautet „nein“. Der Spaß beginnt doch in meinen Augen erst da, wo man in eine kunstvoll und anspruchsgerecht gestaltete Hülle sich selbst einbringt, um damit ein individuelles Gesamtbild zu schaffen. Dieser Akt, diese Fähigkeit vermögen doch selbst aus einer schlichten, praktischen Wohnung ein eigenes, behagliches Heim zu schaffen. Mein Zwischenfazit lautet also, daß der Innenarchitekturprofi, wenn überhaupt, für den normal Stilbegabten im privaten Bereich nur in gewissen Grenzen bei grundsätzlichen Gestaltungs- und Einrichtungsentscheidungen gegebenenfalls notwendig und sinnvoll ist. Daß er, wenn er was kann, dabei aber dann, wie schon der Hochbauentwurfsarchitekt, aufgrund seiner speziellen Begabung und Ausbildung ein Können offenbart, das der durchschnittliche Wohnungsbesitzer nicht hat, soll trotzdem schon an dieser Stelle betont und zugestanden werden. Da habe ich aus eigener Anschauung mit Anleitung durchaus dazugelernt.

Im (halb)öffentlichen Bereich dagegen ist es auch für mich eine selbstverständliche Notwendigkeit, daß der Bauherr bzw. Besitzer nichts dem Zufall und/oder allein dem eigenen Geschmack überläßt. Dies gilt schon deshalb, weil der eigene Stil eines Einzelnen zumeist nicht mehrheitsfähig ist. Ein Hotel aber zum Beispiel soll einem großen Publikum gefallen und damit Gewinne einspielen, obwohl jeder einzelne Gast zu Hause seinen ganz individuellen Geschmack lebt oder gar keinen hat. Da kommt zwangsläufig der Künstler ins Spiel, der die Fähigkeit besitzt, alle Interessen in etwa unter einen Hut zu bringen und trotzdem ein ganz besonderes, einzigartiges Ambiente zu kreieren. Das allerdings sollte dann tunlichst als Gesamtkunstwerk gesehen werden und in der Substanz unangetastet bleiben. Für ein Hotelfoyer gilt eben das oben für den Privatbereich Gesagte nicht, hier soll sich nicht der Eigner oder der Direktor noch zusätzlich verwirklichen, weil damit mutmaßlich alles ge- und evtl. sogar zerstört und gerade nicht sinnvoll und ästhetisch ergänzt wird. Wer, wie ich, einmal anläßlich einer Geschäftsreise sehen durfte, wie aus einem wunderbaren, ehemaligen Sanatoriumsgebäude im Bauhausstil reinsten Wassers eine kitschige schwarz-goldene Palmwedelhölle als Hotel gestaltet wurde, weiß wovon ich rede. Ein aktuelles Beispiel konnte ich am vergangenen Wochenende  mit dem rund 25 Jahre alten „Hotel im Wasserturm“ – damals eine Sensation und eigentlich ein neuzeitliches Denkmal – in Köln besichtigen, das nach Auslaufen von Bindungsfristen seit  rund 15 Jahren nach und nach die geniale Ausstattung von Andrée Putman verändert oder ersetzt. Da verschwinden der puristische Tresen – jetzt steht da ein orientalisch und leicht schwülstig anmutender, roter Samtklotz – und die halbrunden Tischchen mit dem praktischen Auszug, die besonderen Sessel werden völlig unpassend, kitschig umbezogen oder, wie auch die wunderschönen Metall-Opalglaswandlampen, sogar ausgetauscht; letztere wurden von billig wirkenden Stoffschirmchen vor dem Glühkörper verdrängt; auch große Teile der Zimmer werden aktuell umgestaltet und mutmaßlich nicht schöner. Bisher zumindest fehlt augenscheinlich das richtige Händchen, so daß leider kein neuer großer Wurf entsteht. Es mag nun sein, daß sich mit Schönheit allein kein Geld verdienen läßt, weil der Durchschnittsgast diese nicht entsprechend benötigt, wahrnimmt und honoriert. Aber kostet denn Ästhetik immer maßgeblich mehr und muß man überhaupt etwas Einzigartiges unwiederbringlich zerstören!? Meiner festen Überzeugung nach nicht! Warum gibt es für so etwas keinen Denkmalschutz? Zu spät, Dr. Tulp! Der „Leichnam“ – das Bild ist eigentlich falsch, da hier am lebenden Körper sich vergangen wurde und wird – ist bereits zerfleddert. Manchmal weiß man aber natürlich auch erst hinterher, was einem und der Menschheit verloren gegangen ist.

Mein Schlußfazit besteht also darin, daß ich zwischenzeitlich von der Existenzberechtigung von Innenarchitekten insbesondere im öffentlichen Raum hundertprozentig überzeugt bin. Richtig gut wird es aber nur dann, wenn geniale Köpfe am Werke sind. Dem Geburtstagskind sei Dank dafür, mir tiefere Einblicke und Einsichten in diese schöne Welt gewährt und gleichzeitig mit dafür gesorgt zu haben, daß mir die Themen für meine Kolumne nicht ausgehen. Denken wir an die Profis, wenn wir demnächst wieder ein Hotel oder öffentliches Gebäude betreten, und machen wir uns immer wieder ein würdigendes Bild von der oftmals großartigen Arbeit, die dort geleistet wird; das ist teilweise lebendige Zeitgeschichte von morgen, und wenn wir Pech haben, ist es in unserer unbedachten, schnelllebigen Epoche schon bald wieder wie eine Seifenblase zerplatzt. Soviel Zeit muß sein!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

 

 

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