Heute veröffentlicht T-Online einen dpa-Artikel unter der Überschrift „Ist Thüringen ein Abi-Wunderland?“ Es geht um die offensichtlich inflationäre Vergabe von Topnoten. So haben in 2013 in Thüringen fast 38% einen Einser-Schnitt. Im Bund liegt die Quote immer noch bei gigantischen gut 23%. Die Ungleichheit unter den Bundesländern will ich an dieser Stelle nicht ansprechen. Vielmehr geht es mir darum, daß es nicht vorstellbar ist, daß fast ein Viertel der Schüler, so gut sein sollen bzw. können. Das muß man meines Erachtens nicht tiefschürfend untersuchen, für dieses Urteil reicht der Blick unter die gaußsche Glocke. Die Betrachtung verschärft sich noch, wenn man ergänzt, daß zum einen um 1980 herum nur jeder vierte Schüler Abitur machte und heute jeder zweite und zum anderen sich die absolute Zahl der Abiturienten von 2003 bis heute mehr als verdoppelt hat.
Immer mehr Schüler erreichen im Schnitt immer bessere Noten und stellen obendrein die Hälfte der Absolventen. Das entbehrt jeder Logik. Normal wäre es, daß der Notendurchschnitt bei gleichbleibendem Niveau sänke, wenn immer mehr eine höhere Schule abschließen. Und da die Note für das Weiterkommen immer noch das Hauptkriterium darstellt und besondere Fähigkeiten und Begabungen bei der Studienplatzvergabe leider kaum eine bis gar keine Rolle spielen, ist es nur konsequent, daß immer mehr eigentlich nicht geeignete – um nicht zu sagen „dumme“ – aber gleichwohl topnotendekorierte Schüler die Universitäten stürmen. So kann sich der Niveauabsenkungsprozeß dort nur fortsetzen, will man ebenfalls mit guten Abschlußnoten und -quoten glänzen. Wer hat eigentlich ein Interesse daran, daß immer mehr gewöhnlich begabte Menschen mit akademischen Würden ausgestattet werden!? In meinem Abschlußjahrgang 1979 gab es zwei Jungen, die – wenn ich mich recht erinnere -mit 1,6 und 1,8 ihr Abitur gemacht haben; damals waren also noch die Männer schlauer und an so etwas Surreales wie 0,9 war noch nicht zu denken. Das bildete das Leistungsvermögen einer Generation noch so halbwegs realistisch ab, wenngleich die Altvorderen das damals vielleicht auch schon nicht mehr so gesehen haben dürften. Mir scheint es trotzdem reell, weil in dieser Zeit die Zugangsschranke der Herkunft glücklicherweise schon recht weit gefallen war, was zwangsläufig zu einer zahlenmäßigen Erhöhung führen mußte, aber – und darauf kommt es an – nicht eine drastische Veränderung der Notenverteilung und erst Recht nicht ein signifikant schlechteres Niveau zur Folge hatte. Was wir aber heute erleben ist Wolkenkuckucksheim und Augenwischerei. Früher gab es noch eine gegenseitige Achtung zwischen den unterschiedlichen, aber jeder für sich wertvollen Abschlüssen. Heute sind fast alle Abiturienten, und die guten davon können sich vom Rest erst später abheben, die normalen und schlechten fühlen sich urkundlich fälschlicherweise gleichberechtigt und die unteren Abschlüsse werden abgehängt, mit dem Stempel „dumm“ versehen und nahezu jedweder Chance, egal was sie können, beraubt. Eine Bildungskatastrophe, ein sozialistischer Irrsinn, das ist es, was da inzwischen angerichtet wird.
Der Prozeß aber ist nicht vollkommen neu. Wie sagte nämlich schon der große zeitgenössische Philosoph, Prof. Hans Blumenberg, den ich das Glück und die Freude hatte, mehrere Semester zu genießen, in einer Anfang der 80er Jahre gehaltenen Vorlesung an der Universität zu Münster im Zusammenhang mit der Erwähnung einer unterdurchschnittlichen Doktorarbeit eines später dann trotzdem und zu Recht groß Herausgekommenen: „Komisch, heute ist es umgekehrt. Je dümmer die Leute werden, umso besser promovieren sie!“. Dem ist nichts hinzufügen.
Gute Nacht!
Ihr/Euer Wolf