Es gibt Straftäter mit Ehre im Leib!
Diese bekannte Ganovenehre zeigt sich bei Graffiti-Sprayern in der besonderen Gestalt der Künstlerehre und legt fest, daß man die Werke von Kollegen grundsätzlich nicht übermalen darf. Das erstaunt umso mehr, als es hinsichtlich der strafrechtlichen Bewertung verlockend sein könnte, genau dies zu tun, weil man sich auf den Standpunkt stellen kann, daß eine Sache, die bereits entsprechend beschädigt ist, nicht strafbewehrt erneut beschädigt werden kann. Und das Verunstalten eines Kunstwerkes, das illegal entstanden ist, dürfte ohnehin folgenlos sein, da der Vorsprayer mit seinem Tun keine justitiablen Rechte begründet. Trotzdem geht man respektvoll miteinander um.
In diesem Comment liegt eine große Chance für jeden Eigentümer von öffentlich zugänglichen, potentiellen Malflächen, die regelmäßig Opfer von Graffitis werden. Ist man nämlich erst einmal als Fleilandaustellungsstandort auserkoren, hilft zumeist weder ein Beseitigen oder Überstreichen, um die lästigen Straßenartisten abzuschütteln, noch ein kompletter Neuanstrich, weil letzterer erst recht eine Einladung an die Szene ausspricht. Weiße Leinwand schreit doch nach Oberflächenbearbeitung!
Genial ist daher die Idee, den Illegalen zuvorzukommen, indem man offiziell einen Meister der Zunft beauftragt, die Mauern und Hauswände künstlerisch flächendeckend zu versiegeln, so wie dies der Aachener Stromanbieter, STAWAG, schon vor weit über einem Jahr mit dem unten abgebildeten Trafohäuschen getan hat, welches seither seine Pracht unangetastet präsentieren darf. Vorbildlich!
Welch‘ prächtige Vorstellung, wenn triste und zugleich unansehnlich wild beschmierte innerstädtische Fassaden zu bunten und fröhlichen Museumsfluchten sich wandelten und das Auge erfreuten. Eine zeitgemäße Variante der Lüftelmalerei! Ebenso aus kunstpädagogischen Gründen eine grandiose Angelegenheit, weil damit auch Menschen an die Kunst herangeführt würden, die der Kulturbetrieb bisher nicht erreicht! Und da sich über Geschmack nicht streiten läßt und die Entscheidungshoheit für die Wahl des Artisten und dessen individueller Handschrift beim Hausherren liegt, könnten unterschiedlichste Stile in direkter Nachbarschaft einen herrlichen Kontrast bilden und die Vielfalt der Kunstrichtungen augenfällig machen. Auch den sicherlich ewig klammen Graffiti-Outlaws wäre geholfen, könnten sie doch auf diesem Wege ihr Brot verdienen, ohne daß es ihnen verwehrt wäre, weiterhin ihrem den besonderen Kick auslösenden Drang nach verbotenem Tun und Arbeiten an schwer zugänglichen Stellen in Gewerbegebieten, Hinterhöfen oder an Autobahnbrücken und Hochhausruinen nachzugeben.
Wenn Menschen sich aufeinander zu bewegen, vermeidet bzw. entschärft das nicht nur Konflikte, sondern kann auch zu gedeihlichem Zusammenwirken führen. Machen wir also unsere Städte zu täglichen Museen der Moderne! Die Welt ist zwar durchaus bunt, kann aber ruhig noch mehr Farbe vertragen.
Gute Nacht!
Ihr/Euer Wolf