wolfsgeheul.eu vom 11.06.2017

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„Wenn ich bezahlt habe, bleibe ich auch bis zum Schluß!“

Wer sich auf diese Weise zu Wort meldet(s. Kolumne vom 02.03.2016) und gerade nicht aufsteht und geht, äußert ebenso Kritik wie die, die – ob schweigend oder protestierend – den Saal verlassen. Bei beiden Varianten frißt man seinen Unmut nicht in sich hinein, sondern macht seinem Herzen Luft. Mag es auch unhöflich sein bzw. schlechtes Benehmen darstellen, bei echten Zumutungen ist es ein probates Mittel, nicht kritiklos zu verharren, wie viele der schweigenden Mehrheit. Und in einer freien Gesellschaft müssen die, denen das Dargebotene warum auch immer gefällt, solche Störungen genauso wie die Künstler, die zumeist keine Verantwortung für das Stück tragen, aushalten können. Wenn es berechtigte Kritik an den Ausführenden ist, gilt das erst recht. Das Recht auf freie Meinungsäußerung macht unsere Welt lebendig. Kontroversen können und müssen gepflegt werden und bringen etwas in Bewegung.

Neulich habe ich mich diesbezüglich aber selbst überrascht und wahrlich enttäuscht. In Frankfurt war ich zu einer sogenannten Perfomance im Mousonturm, bei der ich überhaupt keine Ahnung hatte, auf was ich mich einließ. Es sollte mit Ton und Tanz sein, und auf einem Bild sah man verschwommen eine weißgekleidete Frau hinter einem Wasserbecken. „Weiße Frau“ klang gut und hoffnungvoll.

Etwa vierzig Besucher jeden Alters wurden in einen stuhllosen rechteckigen schwarzen Studioraum geführt, dessen Mitte von einem mit ebenfalls schwarzen Planen umbauten großen Wasserbassin beherrscht wurde. Die meisten setzen sich um das Becken auf den Boden, einige lehnten sich an die Wand. Der Beginn bestand in gefühlt zehn Minuten Stille im Stockdunklen. Dann begann es mehr oder minder ohrenbetäubend aus zum Teil mit den extremen Bässen überforderten Boxen zu lärmen. Es erinnerte überwiegend an Bahngeräusche. Nach weiteren circa zehn quälenden Minuten erschien aus dem Nichts ein Mann im – natürlich! – schwarzen Trikot, tanzte um und durch den Pool und deklamierte – obendrein schlecht – sinnfreie Texte. Das ganze dauerte eine Ewigkeit und hinterließ einzig Ratlosigkeit. Abgelöst wurde er von einem zweiten, gleichgewandeten Mann, der sich wortlos durch die Szene bewegte. Nach einer guten Stunde war Schluß, ohne daß die weiße Frau – war wahrscheinlich nur die Urheberin des tollen Stückes – erschienen oder so etwas ähnliches wie Musik erklungen wäre. Höflicher Applaus und schneller Abgang. Fazit: Das war – und das dürfte fast unstreitig sein – eine geradezu unverschämte Zumutung ohne jedwede Qualität. Ein verlorener Kulturbesuch!

Und keiner hat protestiert, keiner ist vorzeitig gegangen. Eigentlich war ich aber schon bei der Eingangsstille wildentschlossen, zu gehen, und dieser Drang verstärkte sich eher exponentiell mit fortschreitender Enttäuschung. Als Banause bin ich allerdings zuzugeben bereit, daß mich vielleicht nur die Hoffnung auf eine Frau im engen weißen Trikot vom Verlassen des Raumes abgehalten hat. Erstaunlich bleibt aber trotzdem, daß in einer kulturbeflissenen  Stadt wie Frankfurt vierzig Menschen es wie die Schafe vollkommen kritiklos haben über sich ergehen lassen.

Es steht zu befürchten, daß in unserer Gesellschaft etwas verloren zu gehen droht. Die Menschen trauen sich nicht mehr! Vor Jahrzehnten gerade in der Stadt der Studentenrevolte undenkbar! Vielleicht ist das schon eine Folge der politischen Korrektheit, bei der es ein ähnliches Phänomen gibt. So etwas wie eine „Over Political Correctness“! Um nicht in die Gefahr zu geraten, abseits zu stehen, fehlt der Mut zum Widerspruch umsomehr. Keiner bricht aus. Und so verstärkt sich die Political Correctness von selbst, da es für die Beteiligten eine dominante Strategie – wozu der Durchschnitt neigt – darstellt, immer noch politisch korrekter zu werden. Und auf gleiche Weise können sich Minderleister produzieren, ohne daß sie vom Publikum abgestraft werden.

Um dieser unseligen Entwicklung nicht auch noch Vorschub zu leisten, steht mein Entschluß fest: Beim nächsten Mal stehe ich auf und gehe. Selbst wenn ich bezahlt habe.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 23.05.2017

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 „Nazis, verpisst Euch!“
So einfach bringt es Udo Lindenberg auf den Punkt. Auch wenn man über die Wortwahl streiten kann, ist es äußerst beachtlich, wie er seine Popularität bis heute nutzt, um zu gesellschaftlichen Mißständen leicht verständlich Stellung zu beziehen. So schreckt er auch nicht davor zurück, im Zentralstadion zu Leipzig beim Abschlußkonzert seiner letztjährigen Tour genauso wortkarg wie hoffentlich wirkmächtig gegen die Pegida zu wettern. Und das ganze geschieht in der ihm eigenen einzigartigen Lässigkeit aber mit großer Überzeugung, was ihn jedoch nicht davon abhält, auch mit einundsiebzig Jahren noch eine Bühnenshow abzuliefern, wie es manch‘ Junge nicht vermögen. Eine authentische Figur, ein Vollprofi! Damit unterscheidet er sich wohltuend von vielen 68er Protestbarden wie Niedeggen mit BAP(s. Kolumne vom 30.08.2016), bei denen das alles zu bemüht daherkommt und deshalb viel weniger authentisch erscheint. Schlicht ist eben nicht dumm, aber hinter der Fassade der Schlauheit kann sich Dümmlichkeit verbergen.
Neulich habe ich ein mir bis dato unbekanntes Lindenberg-Lied entdeckt, das all‘ das oben Gesagte in Bezug auf ein anderes Thema gleichermaßen – im wahrsten Sinne des Wortes – verkörpert.
„Mein Body und ich

(Text: Udo Lindenberg; Musik: Udo Lindenberg)

Willst ’n Kaffee, kleinen Whiskey oder ’n Joint?
Ich muss in Ruhe mal mit Dir reden, mein alter Freund!
Ey Du mein armer Körper, was hab‘ ich Dir schon alles angetan?
Volle Kanne, hoch die Tassen, ey, das tut mir ziemlich leid,
ich muss Dir jetzt mal danken nach all der Zeit!

Ey, mein Body, Du und ich,
ich weiß, Du lässt mich nicht im Stich!
And’re hätten bei so ’nem Leben
längst den Löffel abgegeben
Ich hab‘ geraucht so wie ein Schlot
und gesoffen wie ein Loch,
ich hab‘ Dich superhart geschunden,
doch Du lebst immer noch!

Bin ein Feiervogel der durch sein Leben rennt,
wie ’ne Kerze, die von beiden Seiten brennt.
Ich war für Dich kein guter – kein guter Bodyguard,
doch was uns nicht killt, das macht uns extrahart!
Ich hab‘ alles eingeschmissen, was mir in die Finger kam,
auch die chemischen Keulen törnten sehr gut an.

Ey Du mein armer Körper, wie hast Du das blos hingekriegt?
Kein Gift und kein Exzess hat Dich besiegt!

Du mein Body – Du und ich
ich weiß Du lässt mich nicht im Stich!
And’re hätten bei so ’nem Leben
längst den Löffel abgegeben
Ich hab‘ geraucht so wie ein Schlot
und gesoffen wie ein Loch,
ich hab‘ Dich superhart geschunden,
trotzdem leben wir immer noch!

Ich muss Dir jetzt was sagen, ich zoll‘ Dir meinen Respekt,
Du hast den ganzen Wahnsinn weggesteckt!

Ey, mein Body, Du und ich,
hey, wir lassen uns nicht im Stich!
Und sind die Zeiten auch manchmal hart,
wir bleiben lange noch am Start!
Mein Körper, Du und ich,
sowas wird’s nie wieder geben,
Weißt Du, was wir beide sind?
Wir sind die Meister im Überleben!

Ey, mein Body, Du und ich,
ich weiß, Du lässt mich nicht im Stich
And’re hätten bei so ’nem Leben
längst den Löffel abgegeben

Besser kann man es nicht ausdrücken. Nun behandelt jeder seinen Körper anders, aber wir alle tragen täglich dazu bei, ihn auf irgendeine Art und Weise zu triezen. Genau betrachtet schadet er sich zwar selbst, aber wir – wer auch immer das ist – werden dafür verantwortlich gemacht. Insofern erscheint es durchaus sinnvoll, ihm regelmäßig dafür zu danken, daß er uns aushält. Der Mensch ist ein erstaunlich‘ Ding!

Denken wir daran, wenn wir uns zur Ruhe betten. In diesem Sinne

gute Nacht und ein Prost auf den kommenden Vatertag!

Ihr/Euer Wolf

P.  S.: Wegen des Feiertages erscheint am Abend des Mittwoches keine Kolumne. Die nächste wird zum Ende des Donnerstages veröffentlicht.

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