Paul Sahner ist tot. In diesem Zusammenhang fällt mir eine kleine Geschichte ein.
Eine gebildete und sehr kulturaffine Freundin erzählte mir neulich in charmanter und entwaffnender Offenheit, daß sie die Illustrierte „Bunte“ immer am Zeitungsstand lese, weil sie zwar gerne über die Neuigkeiten bei den Royals, Schönen und Reichen informiert, ihr der Kauf dieses Blattes das Geld jedoch nicht wert und quasi zuwider sei.
Mein Verhältnis zu der netten und interessanten Dame ändert das nicht – es kommt eben immer darauf an, wer es macht -, aber gleichwohl ist das eine Verhaltensweise, die ich grundsätzlich verabscheue und als Dreistigkeit empfinde. Schlimm ist es deshalb, weil es augenscheinlich soviele Mitmenschen genauso praktizieren in Bahnhofsbuchhandlungen, Supermärkten, Buchkaufhäusern etc.. Klarstellend muß ich sagen, daß ich nicht das vorsichtige Hineinblättern ins Inhaltsverzeichnis meine, sondern das intensive Hineinschauen und -lesen. Für mich grenzt das an Diebstahl und ist eine Unverschämtheit gegenüber dem späteren arglosen Käufer. Zeitungen jeglicher Art – dasselbe gilt auch für Bücher -, die ich als neu erwerbe, sollten und müssen jungfräulich sein. Sie brauchen strenggenommen vor der Kaufentscheidung noch nicht einmal in die Hand genommen zu werden, da die erste Seite das appetitanregende Schaufenster darstellt, welches auf wesentliche Inhalte bereits hinweist. Der Rest ist bewußt und gewollt eine Wundertüte. Das Risiko, welches sich bekanntermaßen häufig verwirklicht, daß sich das Produkt nach Erwerb als Enttäuschung herausstellt, ist immanent und liegt beim Kunden. Die Rückgabe ist ausgeschlossen und der Erwerber kann seine Enttäuschung erst mit der Kaufverweigerung der nächsten Ausgabe ausdrücken.
Jetzt könnte man über die Menschen herziehen, die sich nicht mehr benehmen können und rücksichtslos verhalten. Das wäre aber wohl alleine und vielleicht sogar im Grundsatz falsch. Denn wir sind alle schwach und Gelegenheit macht Diebe. Die Schuldigen sind also die, die aus Personalkosteneinsparungsgründen und Ignoranz die reine, unverpackte Ware mehr oder weniger unüberwacht und jedenfalls geduldet genau so freizugänglich feilbieten, daß das Lesen und Zurücklegen überhaupt möglich ist. In einer kleinen Buchhandlung, beim Krämer oder im Kiosk erlaubt sich keiner diese Frechheit, wenn überhaupt fragt er im Zweifel sogar um Erlaubnis, um kurz durchzublättern, und wird danach schon eine leichte Kaufverpflichtung verspüren und sich mit dem Zurücklegen schwertun, weil es ihm etwas peinlich ist, nach offenbarer Enttäuschung über den Inhalt der Wundertüte, eine fundierte Entscheidung gegen den Händler zu treffen, obwohl das vorherige Lüften des Geheimnisses bei diesen schnellen und flüchtigen Druckerzeugnissen eigentlich gar nicht vorgesehen ist.
Meine Entscheidung ist klar und konsequent. Wenn ich – was nur noch selten vorkommt – überhaupt eine Illustrierte erwerbe, dann überwiegend im kleinen Geschäft meines Vertrauens. Und wenn es nicht anders geht, nehme ich in Verkaufsstellen, die eher öffentliche Lesehäuser geworden sind, ein vermeintlich unberührtes Exemplar aus der Mitte des Regalstapels, unterstellend zum einen, daß die gelesenen Zeitungen, weil es einfacher ist, hinten wieder einsortiert werden, und zum zweiten, daß der Stapel auf diese Art noch nicht einmal durchrotiert wurde. The consumer fights back!
Gute Nacht!
Ihr/Euer Wolf