wolfsgeheul.eu vom 18.06.2015

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Morgen beginnen zum neunten Male die sogenannten „KurparkClassix“ in Aachen, eine Freiluftveranstaltung über vier Tage mit zwei klassischen Konzertabenden, von denen einer der Welt der Oper gewidmet ist, einem klassischen Kinderkonzert an einem Nachmittag und inzwischen sogar auch zwei Abendkonzerten mit Pop-und Chanson-Größen. Der Zuspruch ist konstant gut, und das ganze hat sich zu einem gesellschaftlichen Ereignis entwickelt, auch und gerade weil nur ein Bruchteil des Publikums auf einer Tribüne vor der riesigen Musikmuschel plaziert werden kann und die überwiegende Zahl der Besucher die Wiesen drumherum bevölkert und mit einem mitgebrachten Picknick den Abend zelebriert. Das ganze ist inzwischen ein Wettbewerb, bei dem die auffälligsten und schönsten Ensembles prämiert werden, so daß die Picknickdecke nur vom gemeinen Volk genutzt wird und viele andere mit großem Equipment und zum Teil verkleidet anreisen. Sogar Szene-Zahnärzte nutzen die Gelegenheit, um ihre Privatpatienten mit den teuren Kronen in eine separierte Zeltstadt mit umzäuntem Außengelände bei edlen Häppchen und Tröpfchen auf die Wiese zu bitten. Immerhin sollen die geladenen Edelmäuler für einen guten Zweck spenden, obwohl sie damit die ohnehin horrenden Zahnklempnerleistungen quasi doppelt überzahlen. Der Musikgenuß ist trotz immer wieder verbesserter Beschallungsanlage einzig auf der Tribüne so halbwegs – bei Musik im Freien muß man, erst recht bei Regen, immer Einbußen in Kauf nehmen – sein Geld wert, auf den anderen Plätzen überwiegt der Eventcharakter. Der Kunstkenner ist also eher rar gesät, aber es ist doch wunderbar, daß von guten Künstlern dargebotene Klassik so viele Menschen anzieht und begeistert. Für unter zwanzig Euro können auch Studenten sich einen Platz auf der Wiese aussuchen und einen unterhaltsamen Abend erleben.

Letztere könnten es aber noch billiger haben. Vor dem freitäglichen Eröffnungskonzert nämlich findet immer donnerstags eine große Probe statt, zu der man, ohne Eintritt berappen zu müssen, auf das Gelände gelangt und die gesamte Bandbreite der Veranstaltung, ohne die Unterhaltungsmusikstars allerdings, inklusive der kunstvollen Illumination erleben kann. Die Schlauen bringen übrigens trotzdem ihr Picknikkörbchen mit. Jetzt könnte man meinen, der Andrang auf diese Gratisveranstaltung sei riesengroß. Ganz das Gegenteil aber ist der Fall. Man findet sogar auf der nur wenig belegten Tribüne Platz und verliert sich dort als Insider weniger mit Externen als überwiegend mit Angehörigen und Freunden der Musiker. Insgesamt ist damit die Probe fast die schönste Möglichkeit der nahezu umfassenden Genußwahrnehmung.

Woran liegt es, daß das über Jahre ein Geheimtip bleiben kann? Normalerweise sprechen sich doch gerade bei der Jugend durch die neuen sozialen Medien Dinge in Windeseile herum. Geht es uns zu gut, sind wir zu satt, interessieren sich die jungen Leute nicht mehr für Klassik, selbst wenn sie nichts kostet? Offenbar ist das leider so! Und so werden wir heute abend wohl wieder mehr – uns eingeschlossen – ältere Schnorrer-Connaisseure treffen, während die Jugend für den abendlichen Spaß an anderer Stelle Geld ausgeben muß. Sollte diese Kolumne aber dazu führen, daß die Probe im nächsten Jahr von hoffentlich überwiegend jungen Menschen überlaufen wird, dann wäre es mir eine Freude, wenngleich ich mir dann den Gratisast, auf dem ich bisher so kommod sitzen konnte, selbst absägt hätte. Vielleicht aber sollte auch der Veranstalter überlegen, ob er nicht für den Probenbesuch zum Beispiel fünf Euro verlangt. Dann könnte er mit einer offiziellen Veranstaltung werben, gleichzeitig wahrheitsgemäß behaupten, der Musik-Marathon dauere fünf Tage, und die Mehreinnahme würde er sicher auch nicht verschmähen. Kreativität auf allen Seiten ist jedenfalls gefragt. Schau’n mer mal, wie es weitergeht!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 16.06.2015

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Ende vergangener Woche war ich bei einem Heavy-Metal-Konzert. Jeder, der mich kennt, weiß, daß das nicht zwingend meine Welt ist, wenngleich ich schon sagen muß, daß populäre Unterhaltungsmusik mir eigentlich nur dann gut gefällt, wenn sie laut ist, einen guten Leadsänger hat, viel fingerfertigen Gitarrensound versprüht und virtuose Keyboard- und Schlagzeugpassagen enthält. Wie sonst hätten wir The Who, Deep Purple, Led Zeppelin, Yes und vergleichbare Formationen ertragen und mögen können!? Sowohl Robert Plant als auch Rick Wakeman sieht und hört man sogar heute noch gerne. Und selbst mit Punk konnten wir teilweise etwas anfangen, wurde ich doch bei meinem Rencontre mit Vivienne Westwood in der letzten Woche erfreulicherweise erinnert, einmal wieder meine Ian Dury-Platte herauszusuchen.

Beim aktuellen Auftritt handelte es sich nun um eine aufstrebende junge Band, deren Komponist, Gitarrist und Produzent ein sehr netter Student aus meiner Nachbarschaft ist und der mich eingeladen hatte. Der Stil wird mit „Progressive Metal“ anggegeben, was mir nichts sagte, jedoch eher Hochexperimentelles erwarten ließ. Ort des Geschehens war ein Hochbunker in Aachen, den ich bei der Gelegenheit auch in Augenschein nehmen wollte. Der relativ kleine Raum mit Guckkastenbühne beherbergte nach meiner Schätzung maximal einhundert Besucher, die einzigen Alten waren ein Freund von mir, der Vater des Drummern, eine nicht näher zuordenbare ältere Dame und ich.

Die Musik war absolut anhörbar, vielseitig und sehr kundig dargeboten. Die Texte möchte ich in keinster Weise herabwürdigend als etwas tiefsinnigere, englische Schlagerlyrik bezeichnen mit Weltschmerz, jugendlicher Zerissenheit, Liebe und ähnlichem zum Inhalte. So weit, so in Ordnung und fast normal! Unüberhörbar aber produzierten die vier Herren und eine, auch singende, Bassisten in ihrem engen, kleinen Zimmer eine genauso erwartete wie in meinen Augen – oder sollte ich Ohren sagen!? – dazugehörige beachtliche Lautstärke, die ungefiltert die vierte Wand durchbrach und über die Trommelfelle des Publikums herfiel. Es zu ertragen, über sich ergehen zu lassen, ja, zu genießen war für mich Teil der Vereinbarung und machte das Erlebnis rund. Doch dann sah ich die ersten jungen Leute, die übrigens ein ganz normales Spiegelbild der heutigen Jugendvielfalt darboten, eher sogar etwas biederer als erwartet waren, an ihren Ohren nesteln. Und was ich dann erkannte, war eine faustdicke Überraschung. Während wir alten Säcke glaubten, es sei unumgänglich, sich die verbliebene Hörfähigkeit weiter zu ruinieren, trugen fast alle anderen entweder die bekannten gelben Ohrstöpsel oder Papiertaschentuchkügelchen in ihren jungen Ohren. Was für ein Generationsunterschied! Da haben die jungen Leute doch tatsächlich auf ihre Erzeuger, Erzieher und vielfachen ärztlichen Rat im wahrsten Sinne des Wortes gehört und schützen sich freiwillig. Mich hat das bewogen, es ihnen sofort gleichzutun. Und was soll ich sagen, es wurde einerseits erträglich, war aber auf der anderen Seite nur noch der halbe Spaß. Unvernunft hat auch seine schönen Seiten, wenn man die Langzeitschäden außer Acht läßt.

Den neuen Trend sollte die mir fast mafiös erscheinende, sehr gute Lobbyarbeit leistende und am kostenlosen Gesundheitssozialismus kräftig verdienende Hörgeräteindustrie rechtzeitig bedenken. Hat heute nämlich ein lukrativer Prozentsatz meiner Generation – ob es wirklich nötig ist oder nicht, kann man nicht sagen, weil das für die Produzenten, Ärzte und Akustiker, die den Profit im Vordergrund sehen, eigentlich auch keine Rolle spielt und Dinge, die umsonst sind, unabhängig von der Notwendigkeit, gerne in Anspruch genommen werden – schon ein „Kind“ im Ohr, werden unsere Kinder darum hoffentlich viel länger einen großen Bogen machen können. Und wenn man Genuß nur in der gedämpften Variante kennenlernt, vermißt man vielleicht auch nichts. Gegen die sinnvolle Vorbeugung von Hörschäden will ich deshalb überhaupt nichts sagen, es wäre mir nur lieb, nähme die Jugend, wenn es um Politik und ihre Zukunft geht, hier und da einfach einmal die Ohrstöpsel heraus und beteiligte sich am Diskurs.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

 

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