Zur Ausübung meines neuen Sports fahre ich häufiger ins nahe Belgien. Vor einer von Wohnhäusern gesäumten kurvigen Ortsdurchfahrt steht ein braunes Schild, das in weißen Lettern folgende Aufschrift trägt: „Vous avez des enfants? Nous aussi!“. Im weiteren, dann geraden Verlauf der Straße steht das bekannte solarzellenbefeuerte Geschwindigkeitsmeßschild, das unter dem Obersatz:“Vous roulez“ die eigene gefahrene Geschwindigkeit anzeigt und sich darunter mit „Merci“ brav bedankt, wenn sie unter 50 km/h liegt. Diesen Dank zu erhalten, ist mir eine Herausforderung und Ehrensache, weshalb ich leider nicht sagen kann, was es kommuniziert, wenn ich zu schnell fahre; es könnte aber ein Smiley mit heruntergezogenen Mundwinkeln sein, wobei ein sprachlicher Kommentar konsequenter wäre. Bei mir zumindest funktioniert diese freundliche Gemahnung perfekt, und ich vermute, daß ich nicht der einzige bin, bei dem es so positiv wirkt. Außerdem ist es in einer leider immer unfreundlicher werdenden (Verkehrs-)Welt zur Seltenheit geworden, daß man überhaupt einen Dank erhält. Geradezu eine Win-Win-Situation also!
Warum sieht man diese milde und simple Verkeherserziehungsmaßnahme bei uns nicht häufiger? Paßt das nicht zur deutschen Mentalität? Für den Preis einer Laserpistole, die – sie muß sich ja amortisieren und soll baldigst Gewinn einfahren – im übrigen zumeist dort eingesetzt wird, wo von überhöhter Geschwindigkeit kaum bis keine Gefahr ausgeht, dürften mehrere solcher, personalfrei arbeitender Meßschilder angeschafft werden können, und die Polizisten hätten Zeit, sich um wichtigere Dinge zu kümmern. Ausdrücklich nehme ich Messungen vor Schulen und Kindergärten aus. Aber da kommt das andere Schild ins Spiel. Meines Wissens werden gerade vor Schulen beinahe genausoviele oder sogar mehr Taxi-Eltern, die auch oft genervt und in Hektik sind, im Vergleich zu unbeteiligten Passierern erwischt. Eltern müssen die gestellte Frage mit „ja“ beantworten und wären dann eigentlich gezwungen, entsprechend achtzugeben und Rücksicht zu nehmen. Für andere, die aber auch Kinder haben, gälte unabhängig davon, daß ihre Kinder nichts mit dieser einen Schule zu haben, mutmaßlich die gleiche Wirkung. Fraglich ist natürlich, ob Fahrzeuglenker mit großen Kindern noch die Einsicht zeigen, obwohl die eigenen schon aus dem konkret gefährlichen Kindesalter heraus sind. Noch fraglicher ist die Reaktion derer, die die Frage mit einem eindeutigen und kurzen „nein“ beantworten können. Meiner Meinung ist aber die Wirkung überall ähnlich, da man – und das scheint mir die zündende Idee – überhaupt eine Frage gestellt bekommt und damit unabhängig von den persönlichen Verhältnissen gezwungen ist, kurz über die Intention des Fragenden nachzudenken, und egal wie die Anwort ausfällt, wird man doch auch fast im gleichen Atemzuge darüber in Kenntnis gesetzt, daß die anderen jedenfalls Kinder haben, um deren Wohl sie besorgt sind. Jedes stumme und einseitig arbeitende Symbol- oder Zahlenschild, das man, wie wir alle wissen, so einfach geflissentlich übersehen kann, und mag es noch so warnrot sein, ist dem meiner Ansicht nach unterlegen, weil es nicht mit uns kommuniziert und keine Reaktion zeigt, wenn ich es mißachte, anstatt mir zu danken oder mich zu tadeln bzw. zum Nachdenken anzuregen.
Nun mag ich ein hoffnungsloser Idealist sein, die neuesten Forschungsergebnisse zur Wirkung und die Kostenvergleiche nicht kennen, trotzdem bleibt bei mir der Eindruck, daß der erhobene Zeigefinger und die Knute den angeführten Beispielen an Effektivität beiweitem unterlegen sind. Deshalb mein Rat an die Behörden, widmet euch nicht vermehrt dem Mobbing(s. Kolumne vom 25.05.2015), sondern der freundlichen und straffreien Verkehrserziehung, die nachdenklich macht und damit zu überzeugen versucht und nicht allein auf das hingestellte Obrigkeitsge- oder verbot und Strafe setzt. Es wäre ein Signal eines sympathischen Staates. Und Steuern fließen zur Zeit genug, so daß auch die Einbrüche im Stadtsäckel verschmerzbar sein müßten.
Gute Nacht!
Ihr/Euer Wolf