In der Nacht zum letzten Dienstag war ich filmreif „Schlaflos in Aachen“, dachte vor wie zurück und hörte das ARD-Nachtkonzert auf WDR 3. Das Programm ist immer interessant, vieles kann man mitsingen, und es gibt häufig neue Entdeckungen. Eine Radiosendung also, die eher zum Aufbleiben verführt, als einen einzuschläfern. Außerdem gibt es kundige Moderationen auf sprachlich meist hohem Niveau.
Gestern nun war die Ansage des Cellisten Rostropowitsch zu besorgen, was der Dame jedoch lustigerweise mißlang; sie verhedderte sich im Russen, was immer passieren kann, damit menschlich und sogar amüsant ist und selbstverständlich keinerlei Vorwurf rechtfertigt. Nachdem die Zunge entwirrt und der Name korrekt ausgesprochen war, hätte es mit einem kurzen „pardon“ oder einer geistreichen, selbstironischen, charmanten Bemerkung weitergehen können, stattdessen aber kam, wenn ich mich recht erinnere, wörtlich folgende Entschuldigung:“Es ist auch halb Drei!“. Da ich annehmen darf, daß das Fräulein aus dem Äther nicht schon seit dem frühen Morgen moderierte, sondern ihr Arbeitstag mit der Sendung um Mitternacht angefangen hatte, ist dieser Satz gelinde gesagt eine Keckheit. Bei aller zugestanden Problematik von Schichtarbeit war der Arbeitstag für sie also mit Sicherheit – wir wissen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, daß er bis ins kleinste arbeitsrechtlich personalratsüberwacht ist – noch frisch, weshalb die späte Stunde ihr – anders als einem nachts operierenden Chirurgen, der schon zwölf Stunden oder mehr Dienst in den Knochen hat – gerade nicht als Erklärung für den Verhaspler zustand. Und als Passagier eines Flugzeuges würde die Dame eine gleichlautende Entschuldigung des Piloten für einen Absturz bestimmt auch nicht akzeptieren.
Hinter der Bemerkung steckt aber meines Erachtens mehr. Einfaches Entschuldigen setzt Selbstvertrauen und Souveränität voraus, dann fällt es leicht und ist symphatisch, entwaffnend und wohlwollenstiftend. Es ist aber nach meiner Wahrnehmung eine zunehmende Neigung der Menschen, sich nicht mehr schlicht für eigene Fehler entschuldigen zu können, erkennbar. Stattdessen müssen Gründe her, die außerhalb der fehlenden Person liegen. Aus meiner Zeit in Sachsen ist mir der schöne Spruch erinnerlich: „Der Nichtschwimmer schiebt es immer auf die Badehose!“. Auch wenn hier mehr das Phänomen beschrieben wird, daß viele Sportler immer einen Grund – falscher Schläger, schlechter Platz etc. – suchen und benennen, um nicht ihr eigenes Unvermögen eingestehen zu müssen, ist die Stoßrichtung gleich. Interessant wäre die Beantwortung der Frage, ob Sportler, die so agieren, im sonstigen Leben die gleiche Attitude an den Tag legen, und solche die es nicht tun, es auch außerhalb des Sports nicht praktizieren.
Ich weiß es nicht, wünsche mir aber einfach in allen Bereichen die Abkehr von der Ausfluchtsmentalität und eine „pur pardon“-Renaissance! Einfach ist eben oft besser!
Gute Nacht!
Ihr/Euer Wolf