wolfsgeheul.eu vom 26.05.2015

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Ende vergangene Woche war ich einmal wieder kulturell im diesbezüglich unbestritten umtriebigen und vielseitigen Aachen aus. Im Theater der Stadt fand die Premiere von Bellinis „Norma“ – warum denke ich dabei nur immer zuerst an eine Discounter-Kette, in meiner Profession müßte es wenigstens die Umsatzsteuer sein – in konzertanter Aufführung statt, die ich lange nicht mehr gehört hatte. Um es vorwegzunehmen: Musikalisch ist Aachen bei den staatlich bzw. kommunal entlohnten Künstlern eine ganz andere Welt als theatralisch(s. Kolumne vom 09.03.2015). Entsprechend war es ein schöner Abend mit interessantem Provinzpremierenpublikum; unter anderen auch deshalb, weil erfahrungsgemäß die Oper eine der wenigen klassischen Kunstgattungen ist, die auch Friseure und Menschen ohne sonstige Musikkenntnis anzieht. Daß man „Norma“ offenbar überwiegend wegen der wunderschönen Cavatine „Casta Diva“ kennt und mag, war eine weitere, erneute Erkenntnis. Die einzelnen Passagen stehen schon etwas holzschnittartig, will sagen nicht harmonisch verbunden nebeneinander. Und das fröhliche Durcheineinandersingen, was obendrein wie die Koloraturen hohe Kunstfertigkeit verlangt, ist auch nicht unbedingt meins. Es kann eben nicht jeder ein Mozart oder Rossini sein! Kurz und gut: Live hören ist immer schön und meistens besser als die künstlerisch hochtrabende Konserve in den eigenen vier Wänden, und sei die häusliche Stereo-Anlage, die man mit Rücksicht auf andere oft auch nicht laut genug stellen kann, noch so gut.

Ansonsten gab es die erwartbaren Schwächen sowohl einer Premiere als auch nicht hochklassiger Künstler. Falsche Einsätze, aus dem Takt blasende Hölzer, Tempidifferenzen zwischen Gesang und Orchester, das im übrigen von einem Novizen, dem 1. Kappellmeister geführt wurde, den ich, auch wenn es sein Verschulden gewesen sein sollte, ausdrücklich von Kritik ausnehme, da jeder einmal anfangen muß, eine zumindest im ersten Akt – schade, denn gerade in dem befindet sich auch die grandiose Cavatine – nervöse und stimmlich noch etwas indisponierte Norma, die später zwar besser wurde aber bis zum Schluß technische Begrenztheiten bei den Koloraturen aufwies und immer noch mit zuviel Vibrator, pardon, Vibrato sang, eine durchgehend zu kehlige aber korrekt singende, sehr attraktive Adalgisa und so weiter und so fort. Dafür gab es einen guten Chor, der nur darunter litt, daß er von der Hinterbühne – aber irgendwie mußten die vielen Musikanten auf der nicht besonders großen Bühne ja untergebracht werden – mehr den Schnürboden als das Publikum erreichte, ein ansich sehr ordentliches Orchester,  einen recht annehmmbaren Pollione, einen laut- und wohltönenden Orovisto, eine sehr angenehme, eher barocksopranige, wenn auch etwas volumenschwache Klothilde, ein schönes, festliches Ambiente, ein begeistert viel Applaus spendendes Publikum und, wie bereits gesagt, insgesamt ein sehr positives Kunsterlebnis. Und daß „Oper“ ist, wenn die dicke alte Dame singt, verkörperte in geradezu klassischer Weise, nur in junger Ausführung, die Norma.  Stärken und Schwächen bei insgesamt mehr als wohlwollender Grundhaltung konnte ich im übrigen mit meiner zufälligen Platznachbarin, einer sehr kundigen älteren Dame und Dauerabonnentin, in den Pausen vollkommen nüchtern besprechen.

Jetzt kommt aber mein eigentliches Thema! Auf dem Weg hinaus traf ich zwei mir gut bekannte, ebenfalls ältere, sehr kunstbeflissene Damen wieder, die ich schon vor der Aufführung im Foyer getroffen und gesprochen hatte. Einhellig zeigten wir uns eingangs des Gesprächs erfreut und wohlbeschallt von dem Abend. Eine der Damen hob hervor, wie großartig es doch sei, daß das „kleine“ Aachen solche Ereignisse hervozubringen vermöge. Als ich nach Zustimmung meinerseits ins, durchaus auch etwas kritische Detail gehen wollte, fuhr letztere mir praktisch über den Mund mit dem Hinweis, daß jede Kritik darob wörtlich „billig“ sei und sich verbiete. Da ich grundsätzlich die Nähe älterer Damen nicht verstärkt suche, ließ ich das so stehen und verabschiedete mich formvollendet. Das war richtig so, obschon ich anderer Meinung bin. Es gibt soviele, zum Teil sogar arbeitslose oder unter Wert sich verkaufende gute Künstler, daß ich die Behauptung wage, daß auch ein Provinzensemble mit knappem Budget es nicht nötig hat, sich mit erkennbarer, bereits an ihre Grenzen gestoßenen Zweitklassigkeit zufrieden zu geben. Man muß halt als Intendant die Bereitschaft und Fähigkeit haben, nach den ungeschliffenen Juwelen zu suchen und sie zu finden. Jeder Gute wurde einmal für die kleine Bühne entdeckt und hat sich von da aus in die Welt aufgemacht, wenn man einmal von den vom Fleck weg gemanageten und geadelten Wunderkindern absieht, die, siehe Lang Lang, danach objektiv nicht zu den Besten gehören müssen, auch wenn sie Spitzenverdiener und gefeierte Stars werden. Geld promotet hohe Kunst aber produziert sie nicht immer! Also bin ich sicher, daß es sehrwohl erlaubt sein muß und legitim ist, zu kritisieren, und sei die Leistung für das Umfeld und die gegebenen Umstände im Grundsatz noch so großartig.

Die angesprochene Haltung kenne ich aber auch aus anderen Lebensfeldern. Sie ist das Ergebnis einer mangelhaften Abstraktionsfähigkeit, einer schwach ausgebildeten Streitkultur und eines übertriebenen Hanges zu Harmonie und Schönrederei. Einen Abend so oder so zu genießen und trotzdem danach sich kritisch mit dem Erlebten auseinanderzusetzen, muß sich doch nicht ausschließen und vergällt einem nicht denselben, sondern versüßt und arrondiert ihn. Daß wir soviel Mittelmaß in allen Bereichen zu beklagen haben, liegt auch an dieser mißlichen Eigenschaft des eingelullt bleiben Wollens. Schade, um die dabei zuhauf verpaßten Chancen und das zum Teil falsch ausgegebene Geld!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 25.05.2015

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In der FAZ vom 13.05.2015 fiel mir auf Seite N 2 im Wissenschaftsteil ein kleiner Artikel auf, dessen Überschrift „Mobbing schadet mehr als Mißhandlung“ bereits leichtes Unwohlsein verursachte und intellektuelle wie emotionale Abwehr auslöste.

Wissenschaftler der Universität Warwick haben wohl Kinder bzw. deren psychopathologische Entwicklung untersucht, die zwischen der achten Woche und dem sechzehnten Jahr ihres Lebens entweder Mißhandlung – umfassend sowohl Schläge und Vernachlässigung als auch sexuellen Mißbrauch – oder Mobbing durch Gleichaltrige oder sogar beides erdulden mußten und in der Folge mit Depressionen, selbstverletzendem Verhalten, Angststörungen o. ä. zu kämpfen hatten bzw. haben. Ergebnis soll – gesagt mit meinen Worten – sein, daß Mobbing die nachhaltigsten krankhaften Probleme bereitet, was letztlich in einem Aufruf der Wissenschaftler an die Behörden mündet, Mobbing ernster als offenbar bisher zu nehmen.

Die erste Frage, die sich stellt, ist, wie man überhaupt auf den Untersuchungsansatz kommt. Mir fehlt leider die wissenschaftliche Grundlage, um vollumfänglich satisfaktionsfähig zu sein. Gleichwohl wage ich die Unterstellung, daß man doch die Intention gehabt haben muß, das Mobbing hinsichtlich seiner Folgen „aufzuwerten“, da ansonsten schon der gesunde Menschenverstand einem insinuiert, daß es eigentlich außer den Tod nichts Grausameres und Traumatisierenderes geben kann, als sexuellen Mißbrauch von Kindern. Ich jedenfalls wäre niemals auf die mir fast krank anmutende Idee gekommen, eine solche Untat auch nur im Ansatz zu relativieren und hinsichtlich der Folgen mit irgend etwas anderem zu vergleichen. Außerdem erlaube ich mir, die in meinen Augen sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen lediglich aufgebauschte Relevanz des Mobbings an sich anzuzweifeln. So gehören zum Mobbing unter Gleichaltrigen zuallererst immer zwei, nämlich der, der es ausübt, und der, der es still und eventuell sogar mit krankhaften Folgen über sich ergehen läßt. Nun könnte man sagen, daß sei bei sexuellem Mißbrauch doch ähnlich. Das ist es aber nicht. Bei letzterem haben wir es mit einer einseitigen Aggression ausgeübt von Erwachsenen zu tun, bei der die Kinder in der Altersklasse, die der Untersuchung zugrunde lag, zumeist nicht den Hauch einer Chance auf Gegenwehr haben. Das ist ein gravierender Unterschied zum Mobbing unter Gleichaltrigen, wie in der Untersuchung definitionsgemäß wohl gegeben, und gilt im übrigen für alle Alterklassen. Allein deshalb werden hier m. E. Äpfel mit Birnen verglichen, und es verbietet sich damit nach meiner festen Überzeugung schon jegliches In-Relation-Setzen der beiden Tatbestände. Außerdem bezweifele ich, wie bereits angedeutet, grundsätzlich die krankmachende Relevanz von Mobbing. Früher waren das Hänseleien, denen sich jeder, natürlich der eine mehr als der andere, einmal ausgesetzt gesehen hat. Sie gehörten zu einer Entwicklung dazu, erstens, um zu erkennen, daß der Mensch im Umgang mit seinesgleichen fast eher zu soetwas neigt als zu Freundlichkeiten, und zweitens, um zu lernen, wie man solche Anfeindungen und Häßlichkeiten erfolgreich abwehrt oder zumindest folgenlos erträgt. Außerdem ist es im animalischen Erbgut des Menschen immer noch grundgelegt, daß man früher oder später von einem Opfer – die zunehmenden Grenzüberschreitungen sind eine Zivilisationskrankheit und wider die Natur – abläßt, das sich nicht wehrt und auch ansonsten keine Reaktion zeigt.  Zudem laufen unter normalen Umständen auch emotionale Prozesse im Täter ab, die irgendwann so etwas wie Mitleid auslösen, und außerdem hat der Gemobbte überwiegend die realistische Chance und eigentlich die zwingende Aufgabe, sich seiner Haut durch geeignete Abwehrstrategien und -maßnahmen zu erwehren, wie er es auch in allen anderen Lebensbereichen lernen und können muß, um zu leben und zu überleben. Mobbing, wenn es wie gewöhnlich beiläufig und nicht vorsätzlich mit einem gewissen Ziel wie Kündigung o. ä. erfolgt, wird also bald langweilig und/oder abgewehrt und erledigt sich daher in überschaubarer Zeit – spätestens übrigens wenn sich ein neues, besseres Opfer anbietet – von selbst. In keinster Weise will ich damit Mobbing schönreden, es ist eine Charakterschwäche, und man macht es eigentlich nicht, weshalb es eine Erziehungsaufgabe ist, diese negative menschliche Eigenschaft unterdrücken zu lernen. Die generelle Pathologisierung  aber geht mir zu weit und steht in meinen Augen unter dem Verdacht, daß sich die Medizin- und Pharmawelt hier nur wieder ein neues Betätigungsfeld überwiegend zum eigenen Nutzen und Frommen zu schaffen versucht. Und die tollen Wissenschaftler in England sind auserkoren bzw. fühlen sich berufen, dafür die vorbereitende Drecksarbeit zu machen!?

Das mag ja ökonomisch nachvollziehbar und sogar legitim sein, moralisch ist es in meinen Augen eine Katastrophe. Mit dem Mord an Kinderseelen durch Mißbrauch spielt man  und man mißbraucht ihn nicht. Es ist verachtenswürdig. Und das Schaffen neuer Krankheitsbilder aus normalen, wenn auch lästigen und unerfreulichen Lebensumständen ist kaum besser. Und die Überschrift ist geeignet, Kindesmißhandler zu beruhigen, weil sie sich ja sagen können, es sei nicht schlimmer als Mobbing. Ungeschick läßt grüßen!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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