wolfsgeheul.eu vom 11.06.2015

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Heute veröffentlicht T-Online einen dpa-Artikel unter der Überschrift „Ist Thüringen ein Abi-Wunderland?“ Es geht um die offensichtlich inflationäre Vergabe von Topnoten. So haben in 2013 in Thüringen fast 38% einen Einser-Schnitt. Im Bund liegt die Quote immer noch bei gigantischen gut 23%. Die Ungleichheit unter den Bundesländern will ich an dieser Stelle nicht ansprechen. Vielmehr geht es mir darum, daß es nicht vorstellbar ist, daß fast ein Viertel der Schüler, so gut sein sollen bzw. können. Das muß man meines Erachtens nicht tiefschürfend untersuchen, für dieses Urteil reicht der Blick unter die gaußsche Glocke. Die Betrachtung verschärft sich noch, wenn man ergänzt, daß zum einen um 1980 herum nur jeder vierte Schüler Abitur machte und heute jeder zweite und zum anderen sich die absolute Zahl der Abiturienten von 2003 bis heute mehr als verdoppelt hat.

Immer mehr Schüler erreichen im Schnitt immer bessere Noten und stellen obendrein die Hälfte der Absolventen. Das entbehrt jeder Logik. Normal wäre es, daß der Notendurchschnitt bei gleichbleibendem Niveau sänke, wenn immer mehr eine höhere Schule abschließen. Und da die Note für das Weiterkommen immer noch das Hauptkriterium darstellt und besondere Fähigkeiten und Begabungen bei der Studienplatzvergabe leider kaum eine bis gar keine Rolle spielen, ist es nur konsequent, daß immer mehr eigentlich nicht geeignete – um nicht zu sagen „dumme“ – aber gleichwohl topnotendekorierte Schüler die Universitäten stürmen. So kann sich der Niveauabsenkungsprozeß dort nur fortsetzen, will man ebenfalls mit guten Abschlußnoten und -quoten glänzen. Wer hat eigentlich ein Interesse daran, daß immer mehr gewöhnlich begabte Menschen mit akademischen Würden ausgestattet werden!? In meinem Abschlußjahrgang 1979 gab es zwei Jungen, die  – wenn ich mich recht erinnere -mit 1,6 und 1,8 ihr Abitur gemacht haben; damals waren also noch die Männer schlauer und an so etwas Surreales wie 0,9 war noch nicht zu denken. Das bildete das Leistungsvermögen einer  Generation noch so halbwegs realistisch ab, wenngleich die Altvorderen das damals vielleicht auch schon nicht mehr so gesehen haben dürften. Mir scheint es trotzdem reell, weil in dieser Zeit die Zugangsschranke der Herkunft glücklicherweise schon recht weit gefallen war, was zwangsläufig zu einer zahlenmäßigen Erhöhung führen mußte, aber – und darauf kommt es an – nicht eine drastische Veränderung der Notenverteilung und erst Recht nicht ein signifikant schlechteres Niveau zur Folge hatte. Was wir aber heute erleben ist Wolkenkuckucksheim und Augenwischerei. Früher gab es noch eine gegenseitige Achtung zwischen den unterschiedlichen, aber jeder für sich wertvollen Abschlüssen. Heute sind fast alle Abiturienten, und die guten davon können sich vom Rest erst später abheben, die normalen und schlechten fühlen sich urkundlich fälschlicherweise gleichberechtigt und die unteren Abschlüsse werden abgehängt, mit dem Stempel „dumm“ versehen und nahezu jedweder Chance, egal was sie können, beraubt. Eine Bildungskatastrophe, ein sozialistischer Irrsinn, das ist es, was da inzwischen angerichtet wird.

Der Prozeß aber ist nicht vollkommen neu. Wie sagte nämlich schon der große zeitgenössische Philosoph, Prof. Hans Blumenberg, den ich das Glück und die Freude hatte, mehrere Semester zu genießen, in einer Anfang der 80er Jahre gehaltenen Vorlesung an der Universität zu Münster im Zusammenhang mit der Erwähnung einer unterdurchschnittlichen Doktorarbeit eines später dann trotzdem und zu Recht groß Herausgekommenen: „Komisch, heute ist es umgekehrt. Je dümmer die Leute werden, umso besser promovieren sie!“. Dem ist nichts hinzufügen.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 10.06.2015

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Da ist man in Düsseldorf geboren, hat zu unterschiedlichen Lebensphasen auch noch in Haan und Krefeld gewohnt, ist jetzt in Aachen zu Hause und war nie in Mönchengladbach. Sicherlich kein originäres Kleinod deutscher Städtegeschichte, aber doch ein Ort, der es verdient, über seine Fohlen hinaus wahrgenommen zu werden. Nach kundiger Stadtführung einer Freundin und ehemaligen Studentin der Hochschule unter anderem zum verwunschenen Abteiberg, einem Freiluftmuseum mit Skulpturen von Oldenburg, Calder etc., ging es zum eigentlichen Anlaß der kleinen Reise, einem Tag als Pressevertreter mit Vivienne Westwood, eingeladen von der stadteigenen Marketinggesellschaft und unterstützt von ortsansässigen Unternehmen wie van Laack(Was wäre ich übrigens ohne mein fast schon uraltes, wunderbar klassisches und nachhaltiges Smokinghemd dieser Firma!?). Ein grandioser Tag, der vergangene Dienstag!

Die Punk-Grande, der Paradiesvogel der Mode hat in beeindruckender Weise der Stadt einen ganzen Tag geschenkt, den ich ab ihrem Auftritt in der Hochschule Niederrhein verfolgen durfte. In Begleitung ihres wesentlich jüngeren Mannes, des Designers Andreas Kronthaler, sprühte die in Würde gealterte, junggebliebene Dame vor Sendungsbewußtsein und Lebenslust ohne Anzeichen von Altersmüdigkeit oder Resignation, daß es eine Freude war. Die um rund ein halbes Jahrhundert jüngeren Studenten, die den Audimax und einen angrenzenden, per Videoübertragung angebundenen Hörsaal füllten, müssen nahezu beschämt gewesen sein, daß vom Podium zum Teil mehr Vitalität ausging als vom Auditorium. Ein Kollege berichtete mir nachher, daß unter den Studiosi eine gewisse Sprachlosigkeit deshalb geherrscht habe, weil Frau Westwood weniger bis gar nicht über Mode, sondern mehr über weltpolitische Themen und ihr Projekt „climatrevolution“ gesprochen habe, etwas daß die vertretenen Wirschaftsgrößen angesichts des durchaus scharfen und kritischen Gehaltes der Einlassungen auf andere Art ebenso verstört haben dürfte. Tatsächlich ging es ihr im Vorgriff auch auf ihren abendlichen Vortrag in der Kaiser-Friedrich-Halle fast ausschließlich um gesellschaftskritische Thesen zur schändlichen Macht gewissenloser Bänker, zur Zerstörung des Regenwaldes, zu kriminellen Politikern, zur Klimaerwärmung, zum Monopolkapitalismus und so fort. Ein Rundumschlag, dem man sogar einige Ungereimtheiten und Pauschalisierungen verzieh, weil er so charmant und authentisch vorgetragen war, daß es einem das Herz erwärmte. Da nutzte ein Weltstar seine Popularität, um sich in den Dienst der guten Sache, eines virulenten Menschheitsanliegens zu stellen, statt eigennützig seine Biographie, seine Mode zu vermarkten und sich nur im Ruhm zu sonnen. Sie appellierte an die Kraft und Macht auch jedes Einzelnen. Das alles begleitet und unterstützt von ihrem unprätentiösen Ehemann, der als scharfer, eher wortkarger Beobachter offenbar  eine kongeniale Ergänzung seiner wortgewandten Frau darstellt. Frau Westwood, gelernte und ein paar Jahre praktiziert habende Grundschullehrerin, schrieb mit einer nonchalanten Art sowohl der Jugend als auch den Unternehmern ins Stammbuch, daß Gutes nur aus Kultur, Geschichtsbewußtsein, Bildung, Originalität und Authentizität entstehen könne. Dabei wirkte sie zu keinen Zeitpunkt arrogant und belehrend. In der kleinen Pressekonferenz war sie so nah, ehrlich interessiert und um gehaltvolle Antworten bemüht, war aber genauso in der Lage, souverän zuzugeben, erschöpfend nicht antworten zu können. Auf die Frage, wie sie sich den Trend zur endgültigen Körpermode in Form von Tattoos und Piercings erkläre und ob sie darauf sogar indirekt Einfluß gehabt habe, kam neben einem eindeutigen Statement, derartiges selbst nicht zu mögen, unter anderem die Vermutung, daß es einer geistigen Leere und Orientierungslosigkeit genauso entspringen könne wie dem Drang, sich aus der anonymen Masse herauszuheben und etwas Individuelles darzustellen. Schön war auch am Nachmittag der durch eine studentische Frage sich entspinnende Dialog bzw. Disput unter den Eheleuten über die Legitimität des Kopierens. Während Frau Westwood zunächst klar dagegen Stellung bezog und die Fahne der Originalität hochhielt, sprach Herr Kronthaler sich durchaus für eine gewisse Berechtigung hierzu aus, was wiederum seine Frau bewog, die jungen Studierenden aufzufordern, sich einfach einmal in der Kopie z. B. eines Tizian-Gemäldes zu versuchen, um am eigenen Leibe festzustellen, wie schwer es ist, hunderte Augenblicksentscheidungen des Künstlers authentisch nachzuvollziehen. Auch ihre IT-Leute, die nicht nur ihre unternehmerische Tätigkeit, sondern auch ihre NGO-Bemühungen zum Beispiel mit der Installation von Websites unterstützen sollen, kamen nicht nur gut weg. Grob gesagt äußerte sie, daß, wer nicht allgemein gebildet sei, nicht kreativ und wirkmächtig umsetzen könne, was jemand, der es ist, will. Letztlich gelang es der ansonsten eher schwachen Moderatorin Dunja Hayali im abendlichen Gespräch, Frau Westwood noch einige herrliche Statements zum Leben an sich und höchstamüsante, entwaffnend offene Anekdoten aus ihrem eigenen Leben und zur Mode zu entlocken. Und während die junge Journalistin körperlich und geistig müde wirkte, war der Star des Abends fast nicht zu bremsen, blühte trotz des beachtlichen Tagespensums teilweise mit nahezu kindlicher Begeisterung eher noch auf.

Selten sind die Erlebnisse, bei denen man über längere Zeit so gefesselt und begeistert ist. Frau Westwood hat genau das geschafft! Sie präsentierte sich als weiser, bescheidener aber selbstbewußter Pfau, der weder seine Federn spreizte noch sich mit fremden Federn schmückte. Man hat ihr das Engagement abgenommen und war bereit, das Große und Ganze zu würdigen, ohne durchaus berechtigtes Bekritteln einzelner Standpunkte nachhaltig aufkommen zu lassen. Solche Auftritte von Menschen, die aufgrund ihrer Lebensleistung und der daraus resultierenden Bekanntheit überhaupt in der Lage sind, die Massen zu mobilisieren und zu erreichen, wünscht man sich häufiger. Präsentiert hat sich uns nämlich eine Frau, die bei aller Unangepaßtheit ein durchaus konservatives Wertegerüst – und nicht nur träumerischen Idealismus – vertritt, das, hätte es auch die Mehrheit der Mächtigen dieser Zeit, sicher unsere Welt ein bißchen besser zu machen in der Lage wäre.

Mönchengladbach hat gestern gewonnen. Dank an Frau Westwood, Herrn Kronthaler und die Initiatoren!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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