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wolfsgeheul.eu vom 20.04.2015

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Das Mittelmeer wird zum Flüchtlingsmassengrab, die Bundesregierung ringt noch – da ist sie, die erste, hoffentlich am Ende positive Auswirkung von Papst Franzikus beherztem Vorpreschen – um ihren Mut, den Genozid an den Armeniern „Völkermord“ zu nennen und die GDL wird wieder streiken. Was will man dazu alles sagen, aber es verschlägt einem gleichzeitig zunehmend die Sprache. Zeit für eine Auszeit und Gelegenheit für eine große deutsche Feder, die ich mir nachfolgend zu zitieren erlaube, weil es so schön vielfältig paßt:

 

Erich Kästner

„Eisenbahngleichnis

 

Wir sitzen alle im gleichen Zug
und reisen quer durch die Zeit.
Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.
Wir fahren alle im gleichen Zug
Und keiner weiß wie weit.

Ein Nachbar schläft, ein andrer klagt,
ein dritter redet viel.
Stationen werden angesagt.
Der Zug, der durch die Jahre jagt,
kommt niemals an sein Ziel.

Wir packen aus. Wir packen ein.
Wir finden keinen Sinn.
Wo werden wir wohl morgen sein?
Der Schaffner schaut zur Tür herein
und lächelt vor sich hin.

Auch er weiß nicht, wohin er will.
Er schweigt und geht hinaus.
Da heult die Zugsirene schrill!
Der Zug fährt langsam und hält still.
Die Toten steigen aus.

Ein Kind steigt aus. Die Mutter schreit.
Die Toten stehen stumm
am Bahnsteig der Vergangenheit.
Der Zug fährt, er jagt durch die Zeit,
und niemand weiß, warum.

Die 1. Klasse ist fast leer.
Ein feister Herr sitzt stolz
im roten Plüsch und atmet schwer.
Er ist allein und spürt das sehr.
Die Mehrheit sitzt auf Holz.

Wir reisen alle im gleichen Zug
zur Gegenwart in spe.
Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.
Wir sitzen alle im gleichen Zug.
und viele im falschen Coupé.“

 

Das Gedicht stammt aus dem Jahre 1931. Ein Jahr zuvor hat Kästner das Gedicht „Das letzte Kapitel“ geschrieben, in dem er das Ende der Welt für den 12. Juli 2003 voraussagt. Da sind wir schon fast zwölf Jahre drüber, aber die Gefahr ist nicht gebannt. Wir sitzen alle im selben Boot, pardon, Zug!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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